"Eine abenteuerliche Argumentation"

„Die Mitte der Kirche ist vielleicht mehr im Gefängnis als im Dom“: der neue Linzer Bischof Manfred Scheuer
Der neue Linzer Bischof weist die Kritik Haimbuchners an den "Caritas-Katholiken" zurück.

Manfred Scheuer ist in Haibach ob der Donau geboren und seit 2003 Bischof von Innsbruck. Am Sonntag, 17. Jänner, wird der 60-Jährige im Dom in sein neues Amt als Linzer Bischof eingeführt.

KURIER: Papst Franziskus hat das Heilige Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Was bedeutet Barmherzigkeit für Sie?Manfred Scheuer: Barmherzigkeit hat mit Vergebung,Versöhnung und der Eröffnung neuer Lebensmöglichkeiten zu tun. Damit man andere Potenziale entwickeln kann, die bisher brachgelegen sind. Wenn man das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn hernimmt, so hat er ein Leben auf ziemlich niedrigem Niveau geführt und dann Zukunft entwickelt. Wenn keine Versöhnung gewährt wird, haben Menschen keine Zukunft.

Barmherzigkeit heißt auch , Gespür für Menschen in Not, als Wahrnehmen und als konkret tätige Hilfe. Das betrifft Wunden, Krankheiten, und materielle Not.

Barmherzigkeit braucht auch die Dimension der Gerechtigkeit. Dass man Menschen gerecht wird. Man soll nicht das als Gnadenakt verkaufen, worauf Menschen einen Rechtsanspruch haben. Es braucht in der konkreten Sozialarbeit Menschen mit Herz.

Sie lehnen eine Obergrenze für Flüchtlinge mit der Begründung ab, dass man den Anspruch auf Asyl nicht begrenzen kann. FPÖ-Landesobmann Manfred Haimbuchner hingegen fordert eine Obergrenze. Seine Begründung: Die Muslime werden hierzulande so zahlreich, dass die Katholiken eine Minderheit werden. Er bezeichnet sich selbst als "wehrhaften Katholiken", der den "Caritas-Katholiken" entgegentritt.

Ich halte es für eine abenteuerliche Argumentation, dass das Asylrecht im Hinblick auf die Erhaltung einer christlich-abendländischen Kultur begrenzt werden soll. Christsein hat schon etwas mit Selbstbewusstsein zu tun, aber auch mit Verwundbarkeit. Insofern möchte ich den Begriff des Wehrhaften nicht übernehmen. Es ist unumstritten, dass Caritas ein Grundvollzug des Glaubens ist. Es ist keine Frage, dass es bei der Gastfreundschaft und der Integration von Asylwerbern eine klaren Kopf und eine gute Organisation braucht. Der Rechtsstaat muss unterscheiden, was Asyl und was andere Migrationsgründe sind. Mit dem Hinweis auf die Gefährdung abendländischer Kultur und der katholischen Kirche im Konkreten müsste man die Afrikaner, die auch Christen sind, einfach aufnehmen. Ich vermute, dass das nicht die Intention der Kritik ist.

Ich sehe die Gefährdung des Glaubens nicht von den Muslimen her. Wenn mit dem Hinweis auf die Muslime in den Kindergärten christliche Feste nicht mehr gefeiert werden sollen, dann sind es die muslimischen Eltern, die einfordern, dass der Nikolaus, der Hl. Martin, Weihnachten und Ostern gefeiert werden sollen. Die Gegnerschaft zu christlichen Werten kommt nicht von Muslimen, sondern von anderen Kräften, die hier aufgewachsen sind.

Was meinen Sie konkret?

Es gibt Kräfte in unserem Land, die der Religion im öffentlichen Leben kritisch gegenüber stehen. Das betrifft die Kindergärten, Bildungsfragen, die Rolle der Kirche in der Bioethik usw.

Die Reaktion auf Ihre Bestellung zum Linzer Bischof war in der Diözese sehr positiv. Lediglich Gerhard Wagner, Pfarrer von Windischgarsten und ausgesprochener Traditionalist, meinte, Sie seien nicht sein Wunschkandidat.

Ich habe mit Gerhard Wagner gemeinsam drei Jahre in Rom studiert. Wir waren alltäglich zusammen. Aufgrund dieser Bekanntschaft gibt es ein Mögen, das stärker ist als kirchenpolitische und auch ideologische Differenzen, die gegeben sind. Im übrigen gebe ich ihm durchaus recht. Auch ich selber bin nicht mein Wunschkandidat. Ich akzeptiere auch seine Aussage, dass das kein Wunschkonzert ist. Insofern habe ich mit seiner Aussage nicht so große Probleme.

Sie sind Ihrem Gelübde des Gehorsams nachgekommen.

Es war nicht mein Wunsch und nicht meine Bewerbung. Ich bin als Fremder nach Innsbruck gekommen und es war nicht einfach da anzukommen. Das liegt an mir, an meinem Stil bzw. auch an den Leuten hier. Aber ich glaube schon, dass ich mich hier eingewurzelt habe und ich bin gerne da gewesen. Das andere ist die Möglichkeit der Veränderung. Ich habe in Rom beim Gespräch mit dem Präfekten der Bischofskongregation meine Argumente eingebracht und es gab schon auch den Hinweis auf die Verfügbarkeit und der Sendung. Ich glaube schon, dass Kirche auch davon lebt, dass Menschen sich mit etwas beauftragen lassen, was sie nicht als das Ureigene verstehen. Insofern hat es auch etwas mit Gehorsam zu tun. Wobei Gehorsam auch mit Hören zu tun hat. Aber nicht mit blindem Gehorsam, sondern mit sehendem Gehorsam, mich auf etwas einzulassen, wo ich noch gewisse Bedenken habe.

Das Zweite ist die biografische Linie. Mit 60 stellt sich sicher die Frage, will ich jetzt den Rest meiner Jahre verwalten oder noch einmal etwas Neues beginnen? Denn der Aufwand eine Diözese neu kennenzulernen ist immens. Das ist auch für einen 40-, 50-Jährigen enorm. Dieser Gedanke, etwas neu anzufangen hat Dynamik und Zukunft versprochen.

Die Diözese Linz ist eine aktive. Es gibt aber auch starke Flügel. Auf der einen Seite fordert zum Beispiel die Frauenbewegung die Öffnung des Priesteramtes für die Frauen, auf der anderen Seite gibt es fundamentalistische Kräfte wie kath.net oder Pfarrer Wagner.

Das ist insgesamt eine Zerreißprobe, die alle Aufgaben und Ämter anlangt, die irgendwo Einheit stiften sollen. Ich glaube nicht, dass Linz hier schwieriger ist als andere Diözesen. Eine gewisse Grundproblematik gibt es überall, wo Gruppen nicht mehr miteinander können oder wollen. Es wird in Linz vielleicht manchmal selbstbewusster aufgetreten, was aber nicht heißt, dass die Probleme stärker oder weniger stark sind als anderswo.

Die Aufgaben eines Bischofs sind nicht in jeder Phase der Geschichte gleich. Manchmal ist es Aufgabe etwas zu gründen, neu anzufangen, Prozesse einzuleiten. Manchmal ist es auch die Aufgabe etwas zusammenzuhalten, was nicht mehr so beieinander ist. Das hat etwas zu tun mit einem Wanderprediger, der in ganz unterschiedliche Milieus oder Ausrichtungen unterwegs ist. Es ist für das Bischofsamt durchaus notwendig, dass ich vielsprachig bin. Ich habe zum Beispiel eine Kinderpredigt zu halten. Ich hatte nun einen Gefängnisgottesdienst. Ich halte das Vagabundieren oder Wanderprediger zu sein nicht für ein Defizit, sondern das ist Auftrag in der gegenwärtigen Zeit. Das gehört zu einer pluralistischen Gesellschaft und einer pluralen Kirche dazu. Dass ich da manchmal auch die Projektionsfläche von Aggressionen und Wünschen bin, dass ich Erfüllungsgehilfe von Interessen sein soll, kommt alles dazu. Das dann zu unterscheiden, wo gebe ich nach, wo leiste ich Widerstand, ist das alltägliche Geschäft. Aber das ist in anderen Bereichen wie der Wirtschaft und Politik nicht so viel anders.

Wo sehen Sie Ihre Aufgabe in der Diözese Linz?

Ich bin dort relativ lange gewesen. Aber ich war jetzt 19 Jahre weg. Ich habe in den vergangenen Wochen auch noch keine Gespräche mit den Verantwortlichen geführt, was jetzt ansteht. Ich muss jetzt einmal relativ viel zuhören und mich beraten lassen. Das sind ja auch gemeinsame Prozesse. Die Schwerpunkte in Innsbruck waren ja auch nicht alleine meine Entscheidungen, sondern sie sind gewachsen. Es kann keiner eine Pfarre oder Diözese im Alleingang leiten. Wenn einer das tun will, lassen ihn die Leute anlaufen. Es geht nicht ohne die Motivation der Mitarbeiter.

Sie gelten als Mann der Mitte. Wie definieren Sie sich selbst?

Die Mitte der Kirche ist Jesus. Ich bin mit unterschiedlichen Leuten und Gruppen im Gespräch gewesen, die sich selber nicht unbedingt als religiös verstehen. Ich würde die Frage nach der Mitte der Kirche stark relativieren. Die Mitte der Kirche ist vielleicht mehr im Gefängnis als im Dom.

Ich denke schon, dass ich auf der Basis des kirchlichen Glaubens bin. Wer das meint, gilt vermutlich schon als konservativ. Insofern bin ich sicher kein Liberaler. Ich möchte selber lern- und dialogfähig sein.

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