Das Fehlen einer vierten Wand

Das Fehlen einer vierten Wand
Die frühere Bühnenschauspielerin Birgit Lehner erhebt das Erzählen zur Kunst. Sie liebt den Kontakt zum Publikum.

Von einer, die  auszog, das Erzählen zu lernen.“ So  würde wohl Birgit Lehners  Lebensgeschichte heißen, wenn sie diese vor ihrem Publikum vortragen würde. Die in Leonding aufgewachsene Künstlerin arbeitete lange als Bühnenschauspielerin und Journalistin, ehe sie sich eine Auszeit nahm. „Ich hatte das Gefühl, das kann nicht alles gewesen sein.“ Sie ging nach Frankreich, wo das Erzählen als Kunstform schon seit den 1960er-Jahren  beliebt ist. Dort besuchte sie Erzählfestivals und Kurse. „Mir war klar, das möchte ich machen.“ Seitdem tingelt die in Wien lebende Aktrice mit ihrem Schatz an Geschichten durch das In- und Ausland.

Märchen

Das Fehlen einer vierten Wand

Ihre liebsten Stoffe sind die – über lange Zeit hinweg mündlich tradierten – Märchen. „Sie sind wie ein Stein im Fluss, der ständig abgeschliffen wird.“ Überflüssiges falle weg, übrig bleibe ein Kern von Wahrheiten, erklärt sie  ihre Faszination für die Gattung. „Das sind archetypische Geschichten, die im Unbewussten erkannt, aber verstandesmäßig nicht erfasst werden.“ Beim Publikum passiere  ein spannender Prozess, wenn sie die Märchen hören: „Sie machen sich ihre eigenen Bilder, das hat eine ganz starke Magie.“

Doch die Künstlerin hat nicht nur Volksmärchen im Repertoire. Sie schrieb mit „Wo die wilden Weiber wohnen“  ein eigenes Erzähltheaterstück, das sich an ein norwegisches Zaubermärchen anlehnt. Gleichzeitig berichtet es über die Geschichte von Lilith, Adams erster  Frau, die sich dem Gatten nicht unterordnen wollte. Im Zentrum des Stücks stehen zwei königliche Zwillingsschwestern. Eine  erlebt Abenteuer im Kopf und ist eine ausgezeichnete Geschichtenerzählerin. Unglücklicherweise verliert sie  den Kopf und macht sich mit ihrer Schwester ins Land auf, „wo die wilden Weiber wohnen“.

Wenn Lehner erzählt, geht sie  in die Rolle der Figuren hinein, wechselt bei jedem Charakter die Stimme. Sie legt – dem Bühnenschauspiel  ähnlich – eine  starke Körperlichkeit an den Tag. Der große Unterschied zum Theater sei, dass die vierte Wand falle. „Schauspieler sind in einer eigenen Welt. Sie sprechen das Publikum nicht direkt an.“
Lehner jedoch stehe  in Kontakt zu den Zuhörern. „Besonders Kinder geben oft spontane Inputs.“ Außerdem sei man als  Bühnenaktrice Teil eines Ganzen. „Ich als Erzählerin habe die Geschichte in der Hand.“ Die Erzählung könne sich  von Vortrag zu Vortrag stetig weiterentwickeln.

Ideen, was sie vortragen könnte, hat sie in Hülle und Fülle. „Es gibt so viele Sachen, die ich machen möchte, etwa Geschichten aus der griechischen Mythologie.“ Aber auch mittelhochdeutsche Epen wie das Nibelungenlied oder Parzival stehen  auf ihrer Wunschliste. „Wenn man nicht gerade Germanistik studiert hat, kennt man diese nicht mehr.“

Auftritte

Birgit Lehner erzählt am Dienstag, dem 16. Oktober ab 19 Uhr in der OÖ Landesbibliothek in Linz zum 200-Jahr-Jubiläum von Grimms-Märchen  „Grimmige Geschichten“.
Am Donnerstag, dem 18. Oktober, gastiert sie mit ihrem Erzähltheater „Wo die wilden Weiber wohnen“ ab 20 Uhr in der Linzer Tabakfabrik.

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