Als Kriegsbraut von Wels nach Syrien

Sofyia T. ist mit einem Tschetschenen verheiratet, zu ihrer Mutter hat sie nur noch schriftlichen Kontakt .
19-Jährige tauchte im Nahen Osten unter, um am Aufbau eines islamischen Staates mitzuwirken.

Sofiya T. war ein ganz normaler Teenager, als sie im Sommer 2011 mit ihrer Mutter Aisha und Bruder Mohamed aus der kasachischen Stadt Almaty* nach Oberösterreich kam. In Wels heiratete die Mutter den bosnisch-stämmigen Lkw-Fahrer S., in dessen Wohnung die Familie einzog.

Die damals 16-jährige Sofiya startete über das AMS eine Lehrausbildung zur Einzelhandelskauffrau. Da sie sehr an Mode interessiert war, absolvierte sie ihre Berufspraktika in bekannten Welser Boutiquen. "Im ersten Jahr war Sofiya völlig normal, doch dann hat sie sich stark verändert", sagt Stiefvater S. im KURIER-Gespräch.

Das Mädchen habe plötzlich regelmäßig zu Allah gebetet, sei in die Moschee gegangen und habe das Haus nicht ohne Kopftuch verlassen wollen. "Aisha und ich sind zwar Muslime, haben den Glauben aber nicht mehr aktiv praktiziert", erzählt S. Seit 28 Jahren lebe er in Österreich – in dieser Zeit sei er in keiner Moschee mehr gewesen. Hart arbeiten und Geld verdienen, laute die Maxime: "Von der Religion allein kann ich mir nichts zum Essen kaufen."

Islamischer Chatroom

Stieftochter Sofiya sei immer weniger zugänglich geworden, habe sich abgekapselt und keine Freundinnen nach Hause eingeladen. "Stattdessen hat sie sehr viel Zeit im Internet verbracht." Als S. ihr den Zugang dazu sperrte, habe sich das Mädchen selbst einen verschafft.

Im Dezember 2013 reiste der Stiefvater mit seiner Frau nach Kasachstan, wo diese mehrere Immobilien besitzt und die Mieten einkassieren wollte. "Dort hab ’ ich aber einen schweren Unfall gehabt und meine Rückkehr hat sich um fünf Monate verzögert." In dieser Zeit hielten sich die 19-jährige Sofiya und ihr Bruder Mohamed, 17, allein in der Welser Wohnung auf. Via Skype (Internet-Telefonanbieter, Anm.) konnten die beiden aber täglich mit den Eltern kommunizieren.

Währenddessen lernte die Tochter in einem islamischen Internet-Chatroom einen jungen Tschetschenen kennen, in den sie sich offenbar verliebte. Er dürfte bei ihr auch die Idee erweckt haben, nach Syrien auszuwandern und als "Kriegsbraut" am Aufbau eines islamischen Staates mitzuwirken. Mohamed, der Zugang zur Mailbox der Schwester hatte, bekam Wind davon und versteckte ihren Pass.

Doch unter dem Vorwand, ihr Aufenthaltsvisum verlängern zu müssen, gelang es Sofiya, ihm das Dokument herauszulocken. Am 14. Mai flog sie heimlich nach Istanbul, wo sie abgeholt und später mit zwei Französinnen über die Grenze nach Nordsyrien geschmuggelt wurde.

"Ich habe mein Kind verloren", sagt Mutter Aisha im KURIER-Telefonat und weint. Als sie von Sofiyas Flucht nach Istanbul erfahren habe, sei sie zur kasachischen Polizei gegangen, die wiederum erfolglos bei den türkischen Kollegen um Unterstützung anfragte. Auch der Österreichische Verfassungsschutz ermittelte. Doch Sofiya blieb verschwunden.

Scharia

Die 19-Jährige hob auf dem Handy nicht mehr ab, auch auf Mails reagierte sie nicht. Mittlerweile hat sie via WhatsApp zur Mutter wieder schriftlichen Kontakt. "Sie hat berichtet, dass sie mit dem Tschetschenen verheiratet ist und in der Stadt Rakka lebt." Über politische oder religiöse Themen könne man mit ihr nicht diskutieren. "Sie sagt, das Wetter ist schön und ich soll nachkommen", sagt Aisha. Die Tochter beteuert, alles nur für Allah zu tun. Zurück wolle sie nicht mehr, weil nur im Gottesstaat die Scharia und ein echter Islam praktiziert würden. "Die Leute dort machen alle kaputt im Kopf, sie haben ihr den Pass abgenommen und kontrollieren alles. Für sie sind diese Kinder nichts als williges Fleisch", betont Aisha.

Michael Tischlinger, Chef des Landesverfassungsschutzes OÖ, hält die Angaben der Mutter für glaubhaft: "Auch wir gehen davon aus, dass Sofiya T. nicht mehr nach Österreich zurückkehren wird."

*Anm.: In einer früheren Version stand fälschlicherweise, dass Almaty die Hauptstadt Kasachstans sei. Seit 1997 ist dies aber Astana.

Sie konvertierte in ihrem Kinderzimmer vom Katholizismus zum Islam, nannte sich danach "Sajida" und ging fortan nur noch im Niquab (Gesichtsschleier) außer Haus: Auch in Graz machte ein junges Mädchen Schlagzeilen, weil es behauptete, nach Syrien gehen zu wollen "um für Allah zu sterben".

Der TV-Sender Puls 4 berichtete über die Geschichte der 16-Jährigen vor einigen Monaten, doch seither ist es still geworden um sie. Ihr Facebook-Profil ist gelöscht, Interviews mit ihr gibt es keine mehr. Als vermisst oder abgängig gemeldet ist sie bei der Polizei allerdings auch nicht, "Sajida" dürfte also noch zu Hause in Graz sein und nicht im Krieg.

Wie berichtet, tauchten auch die beiden Wienerinnen Sabina, 15, und Samra, 16, unter. Ihre Spur verlor sich im April dieses Jahres in der Osttürkei rund hundert Kilometer vor der syrischen Grenze. In Abschiedsbriefen schrieben sie ihren Eltern, in den Heiligen Krieg nach Syrien ziehen zu wollen. Sie dürften sich an der türkischen Seite der Grenze niedergelassen und radikalislamische Kämpfer geheiratet haben.

Der österreichische Verfassungsschutz geht von rund 130 – meist männlichen – Kämpfern aus, die derzeit in Syrien aktiv im Einsatz stehen, oder von den Kampfhandlungen wieder nach Österreich zurückgekehrt sind.

Für Aufsehen sorgte vor wenigen Wochen die Festnahme von neun angehenden tschetschenischen Gotteskriegern. Ihre Fahrzeuge wurden vor dem Grenzübertritt im Burgenland bzw. Kärnten gestoppt. Acht der neun Islamisten sitzen derzeit in Untersuchungshaft, auch über den Organisator ihrer Reise, einen Österreicher mit türkischen Wurzeln, wurde die U-Haft verhängt.

Ein Hassprediger, der über das Internet Dschihadisten rekrutiert und zum Terror anstiftet; westliche Geheimdienste, die mit ungeheuer ausgereiften Ausspäheinrichtungen rund um den Globus dem Bösen auf der Spur sind; eine offizielle, aber geheime Liste von Terrorverdächtigen und Terroristen, die ohne viel Aufhebens zu eliminieren sind; und ein "Spürhund", der das erledigt: In Frederick Forsyths aktuellem Thriller "Die Todesliste" ist nahezu alles enthalten, was die Welt derzeit mit der Ausbreitung des Dschihadismus, etwa durch die Kämpfer des "Islamischen Staates", erlebt.

Im KURIER-Interview spricht der britische Bestseller-Autor, der mehr als 70 Millionen Bücher verkauft hat, über seine akribischen Recherchen und darüber, warum die Islamisten nicht mit offenen Grenzen in Europa und Dialog zu bekämpfen sind, sondern mit Krieg – weil sie ja den Krieg erklärt haben.

KURIER: Herr Forsyth, Ihre ersten Thriller spielten in Zeiten des "Kalten Krieges", der zum Glück nie ein heißer wurde; heute schreiben Sie über den barbarischen Dschihad – ist die Welt grausamer geworden?

Frederick Forsyth: Sie ist auf jeden Fall viel instabiler geworden. Der "Kalte Krieg" war ein Konflikt zwischen zwei Systemen mit unterschiedlichen Zugängen zum Leben, zur Politik, zur Wirtschaft. Und zwischen der NATO und der damaligen UdSSR gab es, von der Blockade Berlins bis zum Fall der Mauer, trotz einiger Krisen 40 Jahre Frieden – und über die Krisen konnte der Westen mit dem Politbüro in Moskau wenigstens sprechen.

Mit den Islamisten kann man nicht sprechen.

Genau, jetzt ist die Hauptkrise der Welt die außergewöhnliche Religion Islam. Vor, sagen wir, 25 Jahren ist ein Teil des Islam verrückt geworden – nicht die Mehrheit der Muslime, aber die substanzielle Minderheit hat effektiv den Krieg erklärt. Und es gibt keine Regierung, ja nicht einmal einen Kopf des Heiligen Krieges, den Sie anrufen und mit dem Sie verhandeln können. Zumal es zehn, fünfzehn verschiedene Gruppierungen gibt, die laufend ihre Identität und ihren Namen ändern.

Ihr Buch "Die Todesliste" mit Hasspredigern und Selbstmordattentätern ist beängstigend real. Aber ist nicht noch beängstigender, dass sich die neue Bedrohung, Stichwort: "Islamischer" Staat, so rasant ausbreitet?

Es gibt zwei hochgefährliche Problemfelder. Erstens: Den Dschihad innerhalb der arabischen Welt, in Syrien, im Irak, wo jetzt gerade Sunniten Schiiten umbringen, in Libyen, samt dem Riss zwischen den Modernisierern im Islam, die nach westlichen Standards streben, und den Mittelalterlichen, die zurück zum Kalifat und zur extremen Auslegung der Bücher Mohammeds wollen. Da könnten wir noch sagen: Okay, das ist eben dort. Aber zweitens: Die Vertreter des mittelalterlichen Islam hassen den Westen. Und es gibt immer mehr junge Islamisten außerhalb der arabischen Welt, aber innerhalb dieses Westens. Solche, die hier geboren sind, in Österreich, in Großbritannien, in Schweden, und die ihre Heimat hassen. Das können wir nicht mehr ignorieren.

Wie groß ist tatsächlich die Gefahr, dass in Europa rekrutierte Islamisten aus dem Dschihad in der arabischen Welt zurückkehren und den Westen mit Terror destabilisieren?

Das ist die Gefahr unserer Zeit. Wir hatten auch früher Terrorismus, IRA, Rote Brigaden, Baader-Meinhoff, ETA, Schwarzer September, die sind weg. Aber der Dschihadismus ist viel, viel gefährlicher, weil die Aktivisten ja bereit sind, selbst zu sterben.

Jüngst sagte mir ein muslimischer, Islam-kritischer Politologe, man könne den Islamismus nicht mit Mitteln der Demokratie und Verfassung bekämpfen – wie dann?

Das war immer wieder der große Fehler, etwa zu glauben, man kann in Saddam Husseins Irak gehen, ihn töten und in ein paar Wochen die Demokratie einführen. Das dauert Jahre, nein, Jahrzehnte, wenn überhaupt.

Und gegen Dschihadisten des "Islamischen Staates" geht man wie vor?

Ich glaube an das Recht der Selbstverteidigung. Und wenn die ganz klar und mehrfach sagen: "Wir töten euch", dann müssen wir sagen, "Ihr habt den Krieg erklärt, nicht wir", und uns verteidigen – und zwar vorwärts verteidigen, nicht warten, bis die kommen.

Das heißt, diese Vorwärtsverteidigung sollte schon im Irak und in Syrien stattfinden.

Ja: Wir spüren euch auf, wo ihr seid, und wir stoppen euch. Es gibt keine andere Wahl, wenn wir nicht auf ein neues 9/11 oder auf Bombenanschläge wie später in Madrid oder London warten wollen.

Und da sind alle Mittel erlaubt?

Beinahe alle. Die Genfer Konvention (u.a. Schutz von Kriegsopfern und -gefangenen, Anm.) ist nett, aber die Islamisten nehmen keine Gefangenen. Und wenn wir Gefangene nehmen, die ja keine Soldaten sind, dauern die Gerichtsverfahren Jahre und Jahre. Ich fürchte, da braucht es die nicht so freundliche Seite des Krieges, und das sind "Special Forces". Und die nehmen auch keine Gefangenen ....

Neben den Special Forces sind die unglaublich erfolgreichen Überwachungs- und Abhörtechnologien der Geheimdienste die Helden Ihres jüngsten Buches – sind die wirklich so gut?

Die sind wirklich außerordentlich gut. Ich recherchierte bei einigen Leuten, die fürs Verteidigungsministerium arbeiten, und fragte, ob die dies und das und das wirklich machen können, und die waren sehr offen und sagten "Ja, wir können und wir tun". Haben Sie ein Mobiltelefon?

Ja klar.

Und Sie glauben, wenn Sie es ausschalten, können Sie nicht gefunden werden? Oh doch, Sie können. Auch ausgeschaltet sagt es irgendwem in den USA, wo Sie sind. Die Polizei mag das. Sie greift auf Abgehörtes zurück, sie weiß, wo Sie sind – wenn Sie Krimineller sind –, und so werden Kriminelle und auch Terroristen gefasst. Das wissen Letztere natürlich auch und treffen Vorkehrungen. Dieser Krieg wird inzwischen weitgehend auch von Männern mit Headsets und Knopf im Ohr gefochten.

Ed Snowden wird als Held gefeiert, weil er die Abhöraktivitäten der NSA und den Angriff auf unsere Freiheit aufgedeckt hat; die USA verstehen die Aufregung nicht und sagen, das ist Kampf gegen Terror. Wer hat recht?

Ich fürchte, die US-Regierung. Ein Experte sagte mir: Es gehen nicht Millionen, nicht Milliarden, nicht Billiarden, sondern Trilliarden von Wörtern täglich durchs Cyberspace – wie um alles in der Welt sollten wir die alle erlauschen? Darum haben sie Filter, mit denen sie tatsächlich das für sie Wichtige herausfiltern. Wenn Sie zum Beispiel Ihre Frau anrufen und sagen, dass Sie zu spät kommen, ist denen das so etwas von egal! Sie könnten das abhören, aber aus praktischen Gründen können sie es gar nicht abhören. 99,99 Prozent des Datentraffics fällt für die weg, sie hören nur den Bad Guys zu, die mit Drogen handeln, mit Kindern oder mit Bomben.

In Ihrem Buch kommt eine geheime Liste von zu eliminierenden Terroristen vor ...

Diese Liste gibt es wirklich, die ist keine Erfindung!

Eine ähnliche geheime Liste von zumindest Terrorverdächtigen hat jüngst in den USA ein "zweiter Ed Snowden" ins Internet gestellt. Verantwortungslos?

Das ist es. Weil er verrät etwas nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch dem Feind: So jagen wir dich, so finden wir dich, so stoppen wir dich. "Danke für den Tipp", sagt der Terrorist.

Leute wie Snowden gehören vor Gericht?

Ja. Er wusste, was er tat und worauf er geschworen hatte (die Geheimhaltung der NSA, Anm.). Und er hat mit seinen "Enthüllungen" die Verteidigung des Westens um Jahre zurückgeworfen. Das ist, wie wenn Sie ein schönes Haus mit Eintrittscode an der Tür haben, und ich erzähle jedem, wie der Code lautet. Ist das das, was Freunde tun?

Im Buch kommt auch "Ariel" vor, ein Internet-Junkie, der in einigen Dingen sogar besser ist als die Geheimdienste. So einer in Reihen der Islamisten ...

Die haben tatsächlich ihre Computer-Genies. Wir sehen ja schon, wie perfekt die Public-Relations-Maschinerie des IS im Netz ist.

Könnte so ein Genie auch Terror übers Web steuern, gegen die Wasserversorgung der USA, gegen Atomkraftwerke, gegen Flugsicherheitsdaten, etc.?

Die arbeiten ja schon daran. Wir sind so computerisiert, und wenn die unsere Computersysteme killen, erledigen sie unsere Gesellschaft. Da braucht’s gar keine Bomben mehr.

Die reichen aber auch schon.

Wenn sie über die Grenzen kommen, ja. Österreich ist Teil von Schengen, und jeder, der einmal Griechenland erreicht hat, kann zu Ihnen kommen, unkontrolliert. Darum ist das auch bei uns in Großbritannien eine große Debatte: Können wir mit dieser idealistischen alten Vorstellung der völlig offenen Grenzen weitermachen?

Also Grenzen dicht und Kontrollen?

Möglicherweise, aber das ist halt ein Herzstück der EU. Die damals noch dachte, jeder ist guten Willens – aber damals hatten wir auch keinen Dschihad zu bekämpfen.

Haben Sie nicht manchmal Sorge, dass die Realität bereits so angsteinflößend ist, dass das niemand mehr im Buch lesen will?

Nein, der Markt ist schon noch da, die Leute mögen Thriller.

An welchem schreiben Sie gerade?

An gar keinem. Ich mache immer ein, zwei Jahre Pause nach einem Buch. Vielleicht fange ich im Winter wieder an. Ich bin gestern 76 geworden, da kann ich’s auch langsamer angehen lassen.

Herzlichen Glückwunsch und danke für das Gespräch.

Pilot und Thriller-Autor

Frederick Forsyth, geb. 1938 in Ashford/Kent, war mit 19 Jahren jüngster Pilot der Royal Air Force. Später war er als Reporter für Reuters und BBC auch in Kriegsgebieten unterwegs. 1972 erschien sein erster Thriller, „Der Schakal“, der gleich zum Welterfolg wurde und wie „Die Hunde des Krieges“, „Die Akte Odessa“ und „Das vierte Protokoll“ erfolgreich verfilmt wurde. Forsyth gilt als penibler Rechercheur. „Vier Fünftel der Arbeit für einen Roman sind Recherche“, sagt er. Nach sechs Monaten Recherche schreibt er dann 10 Seiten pro Tag. Seine Spionage- und Agenten- Thriller verkauften sich weltweit mehr als 70 Mio. Mal.

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