101 Opfer ihrer Zeit

Autor Georg Thiel: „Wirklich gern gestorben ist keiner meiner Protagonisten“.
Georg Thiel präsentierte im Linzer Nordico seinen Nachruf-Band "Alle tot".

Es gibt wohl keine Publikation, die gleichzeitig von Oscar Wilde, Egon Schiele, Franz Kafka, Edgar Wallace, Eva Péron, Papst Pius XII., Falco und Lolo Ferrari handelt. Georg Thiel und Florian Baranyi haben diesen Spagat geschafft: In ihrem Band "Alle tot" werfen die Autoren einen Rückblick auf das 20. Jahrhundert, indem sie die Lebensgeschichten von 101 Persönlichkeiten erzählen, die zwischen 1900 und 2000 gestorben sind.

Der Nekrolog zählt zu den ältesten Formen der Literatur überhaupt. Bereits in der Antike wurden Verstorbene durch Nachrufe geehrt, auch heute haben "obituaries" in englischen und US-amerikanischen Tageszeitungen noch einen hohen Stellenwert. "Die Idee zum Buch kam uns bei einem Besuch des Deutschen Literaturarchivs in Marbach", erzählt Thiel. Der 43-jährige Kurator und Historiker war dort eigentlich auf der Suche nach Manuskripten von Ernst Jünger, deren Herausgabe eine Archivmitarbeiterin aber barsch verweigerte. Die Schriften würden gerade restauriert, das sei auch auf der Homepage vermerkt. Thiel hätte vor seiner Anreise einmal besser recherchiert, sagte die resolute Dame.

Mangelnde Recherche-Bereitschaft kann man den dem Autoren-Duo Thiel und Baranyi freilich nicht vorwerfen: Monatelang wühlten sie sich für ihre Nachrufe durch die verschiedensten Archive, um die Lebensgeschichten der Verstorbenen nachzuvollziehen.

Auch deshalb wird der Leser mit vielen Details belohnt: So erfährt man über Geli Raubal, 1908 in Linz geboren, dass sie ihren Onkel Adolf Hitler liebevoll "Alf" nannte und von dessen "getreuem Schildknappen" Emil Maurice heftig umworben wurde. Anfangs begeistert, zerbrach das junge Mädchen an der zudringlichen Fürsorge Hitlers und schoss sich mit dessen Pistole in die Brust. Der Lungentreffer verursachte einen qualvollen Erstickungstod. Raubal starb am 18. September 1931, erst 23 Jahre alt.

Weltgeschichte

Verwoben mit den Umständen ihrer Zeit entsteht durch die 101 Nachrufe das Panorama eines "gewalttätigen Jahrhunderts" und "personalisierte Weltgeschichte", wie Georg Thiel sagt. Natürlich habe man Menschen den Vorrang gegeben, die einen spektakulären Tod hatten und davor wohl auch ein spektakuläres Leben. König Faruk von Ägypten (1920–1965) ist einer von ihnen: Der korrupte Lebemann, der in seinem Exil in Rom alle Callgirls mit Vornamen gekannt haben soll, begann seine Tage mit zwölf Spiegeleiern und 800 Gramm Steak und fraß sich so sukzessive 150 Kilo hinauf. Die Völlerei forderte ihren Tribut: Nach einem seiner Gelage sackte Faruk bei einer Verdauungs-Havanna über dem Tisch zusammen.

Wieder ein Toter, den der Leser überlebt hat. Ein kleiner Triumph, den auch der Autor bei der Arbeit erlebt hat. Dennoch: "Das Buch ist nur bis zu einem gewissen Lebensalter geeignet. In ein Krankenhaus sollte man es nicht mitnehmen. Und der Oma schenken vielleicht auch nicht", sagt Thiel und schmunzelt. Buchtipp:Georg Thiel und Florian Baranyi: "Alle tot. Das 20. Jahrhundert in 101 Nachrufen." Verlag Anton Pustet, Salzburg 2014. 352 Seiten, 25 Euro.

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