Weiterbau von Semmering-Basistunnel genehmigt
Das Verkehrsministerium hat den Weiterbau des Semmering-Basistunnels genehmigt. "Nach Durchführung der erforderlichen Verfahrensschritte" sei ein neuer Genehmigungsbescheid erteilt worden, teilte das Ministerium am Dienstag mit. Damit können die Arbeiten nach einer etwa viermonatigen Pause fortgesetzt werden.
Am 10. Februar hatte der Verwaltungsgerichtshof die Baugenehmigung aufgehoben. Zumindest ein Sachverständiger sei nicht berechtigt gewesen, Gutachten nach dem Eisenbahngesetz zu erstellen. Bei einem Anrainer wurde die mögliche Lärmbelästigung an der falschen Stelle und nach falscher Methode erhoben. Unklar sei auch die Auswirkung auf deren Bio‐Permakulturanlage. Schließlich sei für die Deponie Longsgraben zur Ablagerung des Tunnelausbruchs ein gesondertes abfallrechtliches Verfahren nötig, die Bewilligung nach dem Eisenbahngesetz war nicht zulässig, urteilte der VwGH damals.
Inzwischen wurden weitere Lärmmessungen durchgeführt und das Umweltverträglichkeitsgutachten ergänzt. Zudem wurden von der ÖBB teilweise neue, dem Eisenbahngesetz entsprechende Sachverständige beauftragt, schreibt das Verkehrsministerium heute. Der vorliegende Bescheid enthalte keine neuen Auflagen.
ÖBB erfreut
Die ÖBB begrüßten den Bescheid umgehend. "Durch die rasche Ausstellung des neuen, positiven UVP-Bescheides wurden wichtige Voraussetzungen für die Realisierung geschaffen", heißt es in einer Aussendung. Auf Basis des Gesamtgenehmigungsbescheids zum Bau vor könne auch ein allfälliges Enteignungsverfahren beim Land Steiermark zur Deponie Longsgraben verhandelt werden. Auch die österreichische Bundesregierung habe den Realisierungsauftrag an die ÖBB-Infrastruktur AG letztmalig durch den einstimmigen Ministerratsbeschluss des Rahmenplans 2014 - 2019 im April 2014 erneuert.
Die ÖBB werden den 182 Seiten umfassenden Bescheid in den nächsten Wochen eingehend prüfen. Welche Auswirkungen in Summe auf das Projekt entstehen, wird gerade analysiert.
1980 - 1989
Vorplanungen der ÖBB für einen Semmering-Basistunnel Semmeringstrecke
März 1989
Südbahnstrecke zwischen Wien und Spielfeld wird zur Hochleistungsstrecke erklärt. Planung und Bau des Semmeringtunnels wird an Hochleistungs AG (HL-AG) vergeben.
1991
Niederösterreich, Steiermark und Kärnten beziehen Tunnel in ihre Verkehrskonzepte ein. Übereinkommen über Weiterbestand der Ghega-Strecke auch nach Bau des Tunnels.
1992
Bewilligung der Vorarbeiten inklusive Sondierstollen. Verkehrsminister Viktor Klima (S) verfügt befristete Unterbrechung der Vorarbeiten bis zum Abschluss von weiteren Untersuchungen.
1993
Baustopp wird aufgehoben.
1994
Baubeginn am Sondierstollen.
1995
Öffentliche Ausschreibung für Bau und Betrieb der Hochleistungsstrecke Gloggnitz-Mürzzuschlag.
1997
Drei private Bieterkonsortien geben Angebote für Finanzierung und Bau ab.
April 1998
Widerruf der Konzessionsausschreibung durch Minister Caspar Einem (S), neue Variantenuntersuchung bestätigt Tunnel als optimales Projekt.
Juni 1998
Das Land Niederösterreich erlässt einen negativen Naturschutzbescheid. Das Projekt wird gestoppt.
Juli 1998
Die HL-AG legt beim VfGH Beschwerde gegen den Bescheid ein.
1999
Der VfGH setzt ein früheres NÖ-Naturschutzgesetz wieder in Kraft, grünes Licht für Bau des Tunnels. Niederösterreich verhängt neuen Naturschutzbescheid. Der Bau des Semmering-Basistunnels wird neuerlich gestoppt.
2000
Der Verwaltungsgerichtshof hebt den NÖ-Bescheid auf. Niederösterreich ändert das Landesgesetz und erlässt einen neuen Bescheid.
2001
HL-AG klagt auch gegen den NÖ-Bescheid. Der VwGH muss neuerlich entscheiden. Die Gelder für den Semmering-Tunnel werden zum Ausbau der Koralmbahn umgeleitet.
2002
Die Regierung legt einen Generalverkehrsplan vor. Demnach wird der Baubeginn für den Semmering-Tunnel 2007 angepeilt, die Kosten werden auf 800 Mio. Euro geschätzt. Die Fertigstellung ist für 2011 geplant.
April 2004
Der VwGH hebt den NÖ-Bescheid nach fast drei Jahren wieder auf. Niederösterreich muss einen neuen Bescheid erlassen. Eine Einigung scheint nicht in Sicht.
März 2005
Das Projekt wird endgültig zurückgezogen. An seine Stelle soll ein neueres und modernes Vorhaben für den Semmering treten. Der Ministerrat segnet die Neuplanung ab.
April 2005
Entschließungsantrag des Nationalrates für das Projekt neu, Vereinbarung Bund - ÖBB-Holding über Realisierung und Finanzierung
31. Jänner 2006
Die ÖBB präsentieren - auf dem Semmering - den "Beginn der Planungen für den Semmering-Basistunnel neu".
9. Februar 2007
Kanzler Alfred Gusenbauer (S) erklärt bei einem Treffen mit dem steirischen LH Franz Voves und Infrastrukturminister Werner Faymann in Graz Koralm- und Semmeringtunnel zur "Priorität Eins". Einen Monat später wird aus ÖBB-Kreisen Widerstand gegen das Projekt laut. Faymann bekräftigt, dass die erste Bautranche trotz Neuplanung bereits 2012 starten werde.
26. April 2008
Faymann teilt Voves mit, dass eine neue zweiröhrige Tunneltrasse südöstlich der Passhöhe geführt werden soll, mit einer Bauzeit von 2012 bis 2020. NÖ-LH Erwin Pröll (V) reagiert vorsichtig-zustimmend.
25. April 2012
Am künftigen Nordportal in Gloggnitz, NÖ, erfolgt der Spatenstich für zwei Tunnelröhren von 27,3 Kilometern Länge. Die Bauzeit soll zwölf Jahre betragen (bis 2024), die Kosten 3,1 Mrd. Euro betragen. Die neue Südbahn, Teil des transeuropäischen Verkehrsnetzes, wird die Fahrzeit Wien - Graz um ein Drittel verkürzen und den Zuwachs im Güterverkehr bedienen, gleichzeitig bleibt das Unesco-Weltkulturerbe Ghega-Bahn über den Semmering erhalten.
10. Februar 2014
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hebt die UVP-Genehmigung für den Semmering-Basistunnel auf und sorgt so für einen Baustopp.
24. Juni 2014
Nachdem weitere Lärmmessungen durchgeführt und das Umweltverträglichkeitsgutachten ergänzt wurden, genehmigt das Verkehrsministerium den Weiterbau des Semmering-Basistunnels.
Man kann von Zweckoptimismus sprechen, wenn Verkehrsministerin Doris Bures meint, dass am Zeitplan für den Bau des Semmering-Basistunnels festgehalten wird. Denn für ÖBB-Insider war es am Montag nicht einmal mehr sicher, ob der Tunnel in seiner ursprünglichen Form überhaupt noch umgesetzt werden kann.
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat überraschend die UVP-Genehmigung für den Semmering-Basistunnel aufgehoben. Das 3,1-Milliarden-Projekt ist damit vorerst gestoppt. Die ersten Grabungsarbeiten für die beiden 400 Meter tiefen Tunnelschächte im Fröschnitzgraben zwischen NÖ und der Steiermark sind bis auf Weiteres eingestellt.
Für die Tunnelgegner ist der VwGH-Entscheid ein Etappensieg im Kampf gegen das „unnötige Milliardengrab“. Die leidgeplagten Anrainer, die Initiative „Stopp dem Tunnelwahn“ und die Landschaftsschutz-Organisation „Alliance for Nature“ (AfN) haben das Projekt mit einer Flut an Beschwerden und Einsprüchen torpediert und nun mit einigen Einwänden recht bekommen. „Wir haben von Anfang an die Rechtmäßigkeit einiger eingesetzter Sachverständiger angezweifelt“, erklärt AfN-Generalsekretär, Christian Schuhböck. Bei genauer Prüfung hat der Verwaltungsgerichtshof diese Verfahrensverletzung auch festgestellt. Einer der beauftragten Sachverständigen hatte für Detailfragen einen nicht beeidigten Gutachter eingesetzt.
Der zweite Knackpunkt für die Aufhebung des UVP-Bescheides betrifft die Anrainer- und Lärmsituation in Göstritz bei Schottwien (NÖ), von wo ein „Zwischenangriff“ (Arbeitstunnel) erfolgen soll. 980 Lastwagen mit Bauschutt sollen pro Woche von dem Baulos abtransportiert werden – genau an dem Bauernhof einer Familie vorbei. Der VwGh stellte fest, dass die Lärmbelastung des Hofes nicht richtig erhoben wurde und Messungen an falschen Punkten durchgeführt wurden. Die Bürgerinitiative hatte von Anfang an protestiert, dass Göstritz während der Arbeiten „für mindestens sieben Jahre quasi unbewohnbar wird.“
Einer der Hauptkritikpunkte der Tunnelgegner ist nach wie vor das Wasser. Obwohl Umweltexperten prognostizieren, dass durch den Tunnel täglich etwa 38 Millionen Liter Bergwasser verloren gehen, hat dieser Umstand keinen Niederschlag im Verfahren gefunden. „Gott sei dank ist die Genehmigung für dieses völlig unnötige Projekt gekippt. Durch die nachhaltige Schädigung des Wasserhaushaltes wird wahnsinnig viel Natur zerstört“, so Anrainer Peter Derl.
Wie es weitergeht
Das Verkehrsministerium und die ÖBB sind nun gefordert, die vom VwGh festgestellten Mängel im UVP-Verfahren auszumerzen. Dass eine völlig neue Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist, glaubt man allerdings nicht. „Bei derart komplexen Genehmigungsverfahren muss immer wieder mit solchen Aufhebungen gerechnet werden. Wir gehen aber davon aus, bald weitermachen zu können“, so ÖBB-Sprecher Michael Braun.
Der Baustopp betrifft übrigens nicht den Hochwasserschutz und die notwendigen Straßenbauten.
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