Das Gefängnis der Skandale
Stein an der Donau: Die Justizanstalt in NÖ für rund 800 Häftlinge, darunter die gefährlichsten Verbrecher, war immer schon ein Brandherd. Seit dem Frühjahr 2014 aber jagt ein Skandal den anderen.
Monatelang war ein 74-jähriger Häftling sich selbst überlassen worden: Eingewachsene stinkende Bandagen an den offenen Beinen, zentimeterlange Fußnägel, die Vernachlässigung war lebensgefährlich. Der damalige Chefarzt wies der Justizwache die Verantwortung dafür zu, man habe ihm den Insassen nie zur Untersuchung vorgeführt. Ab dem Zeitpunkt stand er auf der Abschussliste, es kamen Unregelmäßigkeiten ans Licht.
Unter anderem wurden Hunderte Potenzmittel in Stein entdeckt. Drei Häftlinge wurden damit behandelt, laut Justizministerium wirkt das Präparat nach Prostataoperationen muskelentspannend. Die gehortete Menge wurde mit einem "Nichtansprechen auf die empfohlene Dosierung" erklärt.
Verbrüht
Auch der Fall des verbrühten Häftlings in der Krankenabteilung wurde wieder aufgewärmt. Man hatte ihn in die Wanne gesetzt und allein gelassen, der Mann drehte irrtümlich den Heißwasserhahn auf. Die mutmaßliche Vernachlässigung eines Herzkranken (siehe Bericht unten) schlägt ebenfalls Wellen.
Verjüngungskuren für Häftlinge? Nein, der Arzt erprobte seine neuen Fähigkeiten an der Stationsschwester und einer Kollegin. Bei der einen hing danach ein Augenlid herunter, bei der anderen die Lippe, beide Damen verweigerten die Bezahlung. Der Arzt wird verdächtigt, das Botox auf Gefängnisrechnung bezogen zu haben.
Am Montag wird in einem Hearing der neue ärztliche Leiter ausgewählt. Die interimistische Leiterin hat gute Karten, obwohl sie KURIER-Recherchen zufolge die Krankenabteilung bisher mit nur zehn Wochenstunden in der Justizanstalt und Heimarbeit managen soll. Auf diesem Weg hat sie auch ein brisantes Gutachten über einen wahrscheinlich selbstmordgefährdeten Häftling erstellt.
Gefährdet
Rauchverbot
Im Strafvollzug herrscht nach dem Skandaljahr 2014 Aufbruchstimmung. Ein Reformpunkt: Rauchverbot in Stein für das Spitalspersonal, das bisher in einem Sozialraum qualmen durfte. 26 Häftlinge auf der Krankenstation (es gibt ein Nichtraucher-Zimmer mit zwei Betten) pofeln den Schwestern und Pflegern ins Gesicht, aber die müssen ins Freie, wenn sie sich eine anstecken wollen. Dazu brauchen sie die Justizwache, die ihnen aufsperren muss. Für Harmonie sorgt das nicht gerade.
Angela Erstic:Weil es eine Schlangengrube ist. Man geht mit den Mitarbeitern nicht fair um und verfolgt uns mit erbsenzählerischer Akribie. Ich erledige seit Jahren die Arbeit von vier Ärzten und bekomme gerade einmal so viel, wie ein Facharzt für 14 Stunden im Monat verdient. Der verrechnet das Privatpatienten-Honorar. Ich verstand meine Leistung im Strafvollzug als karitativ.
Was ist in dem im Vorjahr aufgeflogenen Fall des vernachlässigten 73-jährigen Insassen falsch gelaufen?
Der Insasse wurde uns von der Justizwache nie vorgeführt. Es gibt in Stein wegen des Ärztemangels keine Stockvisiten wie in der Justizanstalt Josefstadt, deshalb ist er nicht aufgefallen. Bis vor vier Jahren gab es noch einen eigenen Psychiater für den Maßnahmenvollzug, seither kommen diese Patienten nie zu einem Psychiater. Dabei gibt es immer mehr junge Patienten, die schneiden sich in der Nacht auf, die gehören gar nicht hier her. Wir bräuchten drei Psychiater, haben aber nur einen, drei Tage in der Woche, und jetzt eine neue Psychiaterin, ein Mal in der Woche.Das will sich niemand antun.
Immer wieder ist von der Sonderkrankenanstalt die Rede, wenn es um Probleme in der Justizanstalt Stein geht. Der Fall des Hans H. wirft ein spezielles Licht auf die Einrichtung.
Der 54-jährige Burgenländer, der wegen Betruges zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, kam im Dezember 2013 nach Stein, weil dort seine medizinische Versorgung besser möglich sei, als in Eisenstadt. Die Hoffnung erfüllte sich nicht.
H. beklagte fehlende oder falsche Behandlungen im Gefängnisspital. Seine Klagen, dass es ihm immer schlechter gehe, führten lediglich dazu, dass ihn das Pflegepersonal als Simulanten bezeichnete. Die Justiz warf ihm zudem vor, sich auf Ausgängen ins Spital bringen zu lassen. Wobei zumindest in einem Fall eine Notärztin bestätigt, H. habe einen Herzinfarkt erlitten und sei wegen eines lebensbedrohlichen Zustandes nach Graz ins Krankenhaus gebracht worden. Die Justiz steht jedoch auf dem Standpunkt, dass ein Gefangener auf Ausgang bei Gesundheitsproblemen das nächst gelegene Gefängnis aufzusuchen habe. Die Spitalskosten soll H. selber zahlen.
Dass H. anscheinend doch kein Simulant ist, steht im Beschluss zum Haftaufschub: Ein Gutachten bestätigt, dass sich sein Zustand während der Haft – entgegen der Aussage des Spitalsleiters – massiv verschlechterte. Es zählt einen Gefäßverschluss einer Herzschlagader, eine medikamentös unzureichend eingestellte Blutzuckerkrankheit, hohes Infarktrisiko, eine chronische Knochenmarkseiterung und vieles mehr auf.
H. ist jedenfalls überzeugt, dass das Justizspital sich zu lange unzureichend um seine Erkrankungen gekümmert hat, und er nun mit Dauerfolgen rechnen muss. Das zeigte H’s. Frau bei der Polizei an. Doch die Staatsanwaltschaft Eisenstadt hat beschlossen, dass es „mangels eines Anfangsverdachts“ keinen Grund gibt, zu ermitteln.
Maria H. ist entsetzt: „Sie stellen meinen Mann immer noch als Simulanten hin“, sagt sie. Vielleicht auch, weil die Polizei, wie sie beklagt, ihren konkreten Vorwurf gegen die Justizanstalt auf die Formulierung „gegen Unbekannt“ geändert habe.
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