Die Hochburg der Singles

Die Hochburg der Singles
In Semmering ist mehr als jede/r Zweite Single. Was die einsamen Herzen erzählen.

Glaubt man der Statistik, liegt der einsamste Ort des Landes in Niederösterreich. In Semmering, Bezirk Neunkirchen, sollen 54,2 Prozent aller Menschen alleine wohnen. Ein Hort voller einsamer Herzen oder statistische Unschärfe? Der KURIER machte sich auf die Suche.

„Wir haben viele Zweitwohnsitzer, von denen nur eine Person im Haushalt gemeldet ist“, weiß Bürgermeister Horst Schröttner. Das heißt natürlich nicht, dass es sich dabei nur um Singles handelt. Auf knapp 500 Hauptwohnsitzer kämen fast doppelt so viele Wahl-Semmeringer, beschreibt der Ortschef das Dilemma. Auch die Einführung des Parkpickerls in Wien habe Meldungen gekostet. Mehr Alleinstehende als anderswo gebe es im Ort aber nicht.

Engagement

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Dafür ein umfassendes Angebot für Leute, die nicht vereinsamen wollen. „Unser Infocenter am Bahnhof wird etwa von Freiwilligen betrieben“, schildert Schröttner. Zahlreiche Semmeringer würden sich für die Kommune engagieren. „Das sind 3000 freiwillige Arbeitsstunden und wird zu 80 Prozent von Frauen getragen“. Da seien sehr viele ältere Singles dabei, meint der Ortschef, der selbst glücklich verheiratet ist.

Die Alleinstehenden selbst fühlen sich in Semmering scheinbar pudelwohl. So wie Anita Riegler, Mutter eines 22-jährigen Sohnes. Einsam fühlt sie sich aufgrund ihres großen Freundeskreises nie. „Durch den kleinen Ort kennt jeder jeden. Es ist alles sehr familiär.“ Natürlich gebe es Situationen, in denen sie sich einen Partner wünsche. „Aber wenn dann meine Freundinnen kommen und ich mir ihre Probleme anhöre, denke ich mir ,Nein‘.“ Derweil kann sie tun, was sie will und wann sie will. Wegziehen, um jemanden kennenzulernen? „Nein, mein Herz hängt an Semmering.“

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Reinhard Pichler, Haustechniker, Singlehaushalte, Semmering
Weniger glücklich mit seinem Beziehungsstatus ist der 47-jährige Haustechniker Reinhard Pichler, seit zwei Jahren Single. Man müsse schon seine Fühler über die Ortsgrenzen hinweg ausstrecken, um jemanden kennenzulernen, ist er überzeugt. Dafür brauche man Zeit.

Jennifer Lindner, 31 Jahre alt, leitet das kurz vor der Eröffnung stehende Sporthotel am Semmering. „Arbeitsbedingt geht mir eine Beziehung derzeit nicht ab.“ Wenn der Stress nachlasse, werde auch der nächste Partner kommen, meint sie locker. Außerdem: „Am Semmering hat man total viele Möglichkeiten, Leute kennenzulernen – durch die ganzen Touristen.“ Single möchte sie langfristig jedenfalls nicht bleiben. „Ich kann mir schon vorstellen, eine Familie zu gründen.“

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Lotte Wagner, Pensionistin, Singlehaushalte, Semmering
Das ist etwas, das Lotte Wagner nie gewagt hat. Die 72-Jährige war nie verheiratet. „Ich glaube, ich habe keine Zeit gehabt.“ Zeitlebens hat sie gearbeitet, war teilweise selbstständig. „Es ist mir nie abgegangen wegen meiner Freunde.“ Derzeit ist sie beim Sportverein aktiv.

Übrigens: Einsam wird es in Semmering bei 100.000 Gäste-Nächtigungen im Jahr bestimmt nicht. Überhaupt wittert Bürgermeister Schröttner Morgenluft. Derzeit widme die Gemeinde wegen großer Nachfrage Bauplätze: „Und im Kindergarten haben wir momentan 16 Kinder.“

Rasanter Anstieg der Single-Haushalte vor allem in der Stadt
Jeder Dritte lebt allein Der aktuellen Registerzählung der Statistik Austria zufolge ist die Zahl der Single-Haushalte in den vergangenen vier Jahrzehnten rasant angestiegen (Details siehe unten). 2011 wurde bereits jeder dritte Haushalt (36,3 %) von nur einer Person bewohnt, 1971 war es nur jeder vierte (25,6 %).

Stadt vs. Land Vor allem in Großstädten ab 100.000 Einwohnern gibt es zahlreiche Singles. In jedem zweiten Haushalt (46,3 %) lebt nur ein Bewohner. Die steirische Mur-Mürz-Furche, Gemeinden aus den nord-östlichen Randgebieten und im Süden NÖs holen bei der Zahl der Singles auf – das liegt aber vor allem an der Landflucht, alleinstehende Pensionisten bleiben zurück.

Die Zeit der Großfamilien ist definitiv vorbei, der Trend geht genau in die gegenteilige Richtung: In den letzten 40 Jahren ist die Zahl der Single-Haushalte in Österreich stark angestiegen. Das geht aus einer nun vorliegenden Analyse der Registerzählung der Statistik Austria 2011 hervor (die Registerzählung ist das Nachfolgeinstrument der Volkszählung, Anm.). Während 1971 noch jeder vierte Privathaushalt (25,6 Prozent) von nur einer Person bewohnt wurde, war es 2011 bereits jeder dritte (36,3).

Mit Stichtag 31. Oktober 2011 lebten in Österreich exakt 8.401.940 Personen (zum Vergleich 1971: 7.491.526). Davon lebte der Großteil (8,27 Mio.) in Privathaushalten, der Rest in Anstalten wie etwa Pflegeheimen. Die durchschnittliche Anzahl der Personen pro Haushalt lag bei 2,27 Personen; 1971 waren es noch 2,88 Personen, wie Statistik Austria-Generaldirektor Konrad Pesendorfer am Montag bei der Präsentation der Daten bekannt gab.

Großstadtphänomen

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Kuecheneinrichtungen Kuechenmoebel Kuechenausstattung Kueche Kuechen Kuecheneinrichtung.. Junge Frau in einer Mini - Einbauküche für den Einpersonen- Haushalt.. Modell: Haas & Sohn....1972...
Der Trend zum Alleine-Wohnen ist vor allem ein Phänomen der Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern: In diesen Städten gibt es mit 46,3 Prozent deutlich mehr Ein-Personen-Haushalte als im Schnitt. Bei der Zählung 1971 lag diese Zahl mit 34,3 Prozent noch erheblich niedriger.

Bei den älteren Menschen sind es vor allem die Frauen, die alleine leben: Männer leben bis zum 82. Lebensjahr zu zwei Drittel in Partnerschaften. Bei den Frauen ist hingegen schon ab dem 73. Lebensjahr mehr als ein Drittel (35,4 Prozent) alleine, nur 49 Prozent leben in Partnerschaften. Erst ab 96 Jahren leben mehr Männer alleine als in einer Partnerschaft, bei Frauen tritt diese Marke bereits mit 77 Jahren ein. Ein kleines Detail am Rande: Der Club der Hunderter ist stark im Wachsen. Zum Stichtag 31.10 2011 lebten in Österreich 1112 Menschen über 100 Jahre. Allein in den vergangenen zehn Jahren hat sich diese Zahl verdoppelt.

Kleinfamilie

Zu beobachten ist auch ein Trend zur Kleinfamilie: Die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie ist von 1,99 Kindern auf 1,64 Kinder gesunken. Der Rückgang ist in allen Bundesländern außer Wien zu beobachten: In der Bundeshauptstadt gab es einen Anstieg von 1,53 auf 1,61 Kindern pro Familie. Insgesamt ging die Zahl der Kinder in Familien von 2.615.586 um 10,5 Prozent auf 2.341.743 zurück.

Auffallend ist, dass Kinder immer länger in ihren Familien bleiben. Vor 40 Jahren wohnten nur 29,4 Prozent der 25-jährigen Männer noch im "Hotel Mama", 2011 schon 44,2 Prozent. Und selbst von den 39-jährigen Männern lebte 2011 bereits jeder zehnte daheim (1971: 4,2 Prozent). Auch bei den Frauen stieg die Zahl der "Nesthocker" von 11,6 auf 29,5 Prozent an. Diese Entwicklung lässt sich auch daran ablesen, dass 1971 noch 68,7 Prozent jener Personen, die als Kinder im Elternhaushalt lebten, unter 15 Jahre alt waren. 2011 hingegen waren nur mehr 51,5 Prozent unter dieser Altersmarke.

Als Grund für diesen Trend nannte Pesendorfer vor allem die längeren Ausbildungszeiten. Aber auch die Wirtschaftskrise und die Wohnungsnot lässt Hotel Mama für junge Menschen attraktiv erscheinen (siehe Hintergrundgeschichte unten). Damit lässt sich auch erklären, warum Frauen heutzutage wesentlich später ins Berufsleben einsteigen: Bei Frauen liegt die Erwerbstätigenquote mit 24 Jahren bei 70 Prozent, 1971 standen bereits die 17-jährigen Frauen zu 70 Prozent im Erwerbsleben. Insgesamt beteiligen sich heute aber bei deutliche mehr Frauen am Arbeitsmarkt: So lag die Quote etwa bei den 45-Jährigen Frauen mit 82,1 Prozent deutlich höher als noch 1971 (53,4 Prozent).

Auch der spätere Zeitpunkt der Familiengründungen ist laut Statistik Austria auf die langen Ausbildungszeiten zurückzuführen. Während 1971 die Frauen im Schnitt mit 27 Jahren Kinder bekamen, liegt dieses Alter nun bei 30 Jahren. Für das Jahr 2060 wird laut Prognosen das Alter der Frauen bei Familiengründung auf etwa 33 Jahre ansteigen, so der Generaldirektor.

Registerzählung alle zehn Jahre

Die Registerzählung hat 2006 die Volkszählung abgelöst, 2011 wurde das neue Instrument erstmals angewandt. Die Informationen werden nicht mehr via Fragebogen bei den Bürgern direkt eingeholt, sondern aus den vorliegenden Daten der Verwaltungsregistern wie etwa dem Meldeamt entnommen. Damit habe man eine "neue Epoche eingeleitet", sagte Pesendorfer, der auf eine deutliche Reduzierung der Kosten hinwies. Die Zählung wird alle zehn Jahre durchgeführt, dies sieht auch die Vorgabe durch die EU vor.

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