"Reformwille in der Spitalsholding des Landes fehlt"

Reisner fordert eine Strukturreform für die nö. Landeskrankenhäuser.
NÖs Ärztekammer-Präsident Christoph Reisner im KURIER-Interview.

Seit acht Jahren ist Christoph Reisner, Orthopäde aus Wiener Neustadt, am Steuerrad der nö. Ärztekammer. Im Interview mit dem KURIER spricht der Präsident über Testpatienten in den Ordinationen, akuten Ärztemangel und über den fehlenden Reformwillen in der nö. Landeskliniken-Holding.

"Reformwille in der Spitalsholding des Landes fehlt"
Christoph Reisner, Ärztekammer-Präsident Niederösterreich, ÄKNÖ, HONORARFREI
KURIER: Die Regierung hat im Zuge der Steuerreform festgelegt, Testpatienten – so genannte „Mystery Shopper“ – in Arztpraxen zu schicken, um eCard-Missbrauch aufzudecken. Dadurch erwartet man sich 200 Millionen Euro für den maroden Finanzhaushalt. Was halten sie von dieser Maßnahme?
Reisner: Das können sie gerne machen. Wer korrekt arbeitet, dem wird nichts passieren. Aber ich erkenne keinen Sinn dahinter. Alleine in Niederösterreich haben wir 20 Millionen Patientenkontakte pro Jahr. Innerhalb von sechs Jahren sind österreichweit aber nur 420 Missbrauchsfälle registriert worden. Ich frag’ mich, was Spione kosten und was sie wirklich bringen sollen. Gegen den Missbrauch der eCard gibt es eine einfachere Lösung: Wir wünschen uns seit Jahren, dass ein Foto auf die eCard kommt. Und wenn die Karten ausgetauscht werden müssen, kann man ein aktuelles Passbild einfügen.

Um Patienten eine bessere Behandlungsempfehlung zu geben, will das Land Niederösterreich eine neue, web- und telefonbasierte Beratungseinrichtung installieren. Können sie mit dieser Idee etwas anfangen?
Grundsätzlich ist jede Maßnahme gut und richtig, die weiterhilft, um Patientenströme besser zu verteilen. Doch für diese telemedizinische Einrichtung wird man Ärzte brauchen, und mit uns hat noch keiner gesprochen. Bedauerlich ist, dass den Patienten der Hausverstand abhanden gekommen ist, um zu wissen, was bei körperlichen Beschwerden zu tun ist. Daher wäre das Thema Gesundheitsversorgung anstelle anderer abstrakter Sachen ein wichtiges Unterrichtsfach, das die Politik ins Bildungswesen integrieren sollte. Man muss den Kindern erklären, was zum Beispiel bei bestimmten Symptomen wie etwa bei Husten oder Schnupfen zu tun ist, wann der Hausarzt aufgesucht werden soll und wann der Hut brennt.

Der Ärztemangel macht sich immer deutlicher bemerkbar. Gibt es noch eine Rettung?
Aus meiner Sicht ist es für eine Beendigung der Abwärtsspirale zu spät. In spätestens acht Jahren wird uns der Ärztemangel mit voller Wucht treffen, vor allem in Bereich der Allgemeinmedizin. Auch wenn wir jetzt viele Studenten auf die Uni schicken würden, wären sie in acht Jahren noch mitten in der Ausbildung. Im Moment können wir die offenen Arztstellen noch nachbesetzen, wobei die Situation deutlich schwieriger geworden ist. Hatten wir früher noch fünf bis zehn Bewerber für eine offene Hausarztstelle, so sind es inzwischen nur noch maximal drei.

Was muss unternommen werden, um später wieder mehr Ärzte zur Verfügung zu haben?
Die Zugangsbeschränkungen zum Medizinstudium müssen fallen. Ist unser Bildungssystem wirklich so schlecht, dass wir eine „zweite Matura“ brauchen? Wenn schon eine Eignungsprüfung notwendig ist, dann sollten zumindest ein paar grundlegende, medizinische Themen abgefragt werden. Das größte Problem ist aber, dass viele ausländische Studenten in Österreich zu einem billigen Arztstudium kommen und nach dem Abschluss wieder nach Hause gehen. Besser regulieren lässt sich diese Schwierigkeit, wenn man höhere Studiengebühren verlangt und österreichischen Studenten eine Steuererleichterung gewährt. Um eine eu-konforme Lösung zu finden, wären unsere Juristen gefordert.

Mit „Paramedics“ will man in Niederösterreich den Notarztmangel abfedern. Ist das eine sinnvolle Lösung?
Jeder hochqualifizierte medizinische Hilfsberuf mehr ist gut. Allerdings kann ein Paramedic keinen Notarzt ersetzen. Er darf nicht annähernd das, was ein Notarzt darf. Außerdem gibt es für Paramedics in Österreich noch keine gesetzliche Grundlage. Den Notarztmangel wird man damit nicht lösen können. Das wäre so, als würde man bei einem Schlosser-Mangel plötzlich Schneider ausbilden.

In ganz Österreich wurde wegen der neuen Arbeitszeitrichtlinie für Spitalsärzte gestritten. Warum gab es in Niederösterreich keine Proteste?
Im Gegensatz zu allen anderen Bundesländern haben wir schon 2012 die neue Maximalarbeitszeit bei Spitalsärzten eingeführt. Es ist ja nicht so, dass uns dieses EU-Gesetz überrascht hat. Die Regelung ist bereits seit 2003 in Kraft. Bei uns in NÖ wurde die Gehaltsstruktur so umgebaut, dass die Ärzte nicht erst, wie früher, ab 60 Stunden, sondern auch mit 40 bzw. 48 Wochenstunden Arbeit ein vernünftiges Gehalt erzielen können. Wir haben österreichweit diesbezüglich eine Vorreiterrolle, übrigens auch im Bereich der Betriebsvereinbarungen mit individuellen Obergrenzen. Es ist nicht alles in NÖ in Ordnung, aber vieles besser als in den übrigen Bundesländern.

Ist die Arbeit in den nö. Landesspitälern aus Sicht ihrer Mediziner noch bewältigbar?
Die medizinische Arbeit ist natürlich deutlich mehr geworden. Eine Strukturreform in der nö. Landeskliniken-Holding würde aber vieles einfacher machen. Doch darauf warten wir schon seit 2011. Derzeit ist keine Linie erkennbar. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum die Orthopädie in Wiener Neustadt geschlossen und in Neunkirchen installiert wird, also medizinische Kompetenz von einem Schwerpunkthaus in ein kleines Haus verschoben wird. Schon jetzt gibt es im Süden von Wien Wartezeiten von mehreren Monaten für Planoperationen. Die Planung entspricht hier nicht den Bedürfnissen der Bürger. Außerdem sollte man sich in der Spitalsholding mal gründlich überlegen, für welche Leistungen 24-Stunden-Kapazitäten nötig sind und welche seltenen Leistungen zentralisiert werden können.

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