MedAustron vor Start des Probebetriebs

Der Teilchenbeschleuniger misst einen Umfang von 100 Meter. Hier werden die Strahlen produziert.
Ab 2015 sollen die ersten Patienten im Krebszentrum in Wiener Neustadt bestrahlt werden.

Es ist die letzte Hoffnung für viele todkranke Krebspatienten. Ab 2015 sollen die ersten Tumore im 200 Millionen Euro teuren Krebszentrum MedAustron in Wr. Neustadt (NÖ) punktgenau bestrahlt werden. Bevor das Herzstück der Anlage, der Teilchenbeschleuniger, demnächst in Betrieb geht und von einem Magnetfeld umhüllt ist, gab es am Donnerstag eine Führung durch die künftigen Behandlungsräume. Besonders erkrankte Kinder, die mit bisherigen Methoden nicht behandelt werden können, sollen durch MedAustron geheilt werden. Der Vollbetrieb für bis zu 1.400 Patienten ist ab 2020 geplant.

Derzeit wird mit Hochbetrieb am 80 Meter umfassenden Kreisbeschleuniger gearbeitet, mit dem Teilchen für die sehr präzise und hochwirksame Bestrahlung von Tumoren auf zwei Drittel der Lichtgeschwindigkeit gebracht werden.

Kleinere Strahlenbelastung

Bei MedAustron soll eine innovative Form der Strahlentherapie angeboten werden, die sogenannte Ionentherapie (siehe Hintergrundbericht unten). Durch die Bestrahlung mit Ionen - entweder aus einem Proton bestehende Kerne von Wasserstoffatomen oder Kohlenstoff-Kerne mit je sechs Protonen und Neutronen - kann die Strahlenbelastung des den Tumor umgebenden Gewebes sehr klein gehalten werden. Die Schäden an der Erbsubstanz DNA verursachende Energie der Strahlen entfaltet sich sehr präzise nur im Tumor.

"Die Methode erweitert das Behandlungsspektrum", betonte der für Technik und Medizin zuständige MedAustron-Geschäftsführer Bernd Mößlacher. Vor allem gut umrissene, also noch nicht metastasierende Tumore in der Nähe strahlungsempfindlicher Organe könnten gut behandelt werden.

Kernstück der Anlage ist ein Teilchenbeschleuniger. An dessen Anfang werden insgesamt vier Ionenquellen die für die Bestrahlung verwendeten Teilchen liefern, drei davon sind bereits installiert. In den Ionenquellen werden die Wasserstoff- bzw. Kohlenstoffatome durch starke Magnetfelder in einen "Plasma" genannten Zustand gebracht, in dem die Elektronen nicht mehr an die Kerne gebunden sind.

Die dann positiv geladenen Kerne (Ionen) werden für den nächsten Schritt in der Beschleunigerkette "abgesaugt" und zum Linearbeschleuniger geleitet. Dort werden die Teilchen auf 36.000 km/h bzw. zwölf Prozent der Lichtgeschwindigkeit vorbeschleunigt. Dieser Teil der Anlage ist bereits kommissioniert, weist medizinische Qualität auf und ist bereit zum Einschuss in den Kreisbeschleuniger (Synchrotron).

Probebetrieb startet 2014

An diesem Beschleuniger mit rund 80 Meter Umfang wird derzeit eifrig gearbeitet, "alle Bestandteile sind bereits im Haus, wir müssen nur noch zusammenbauen", so Mößlacher. Konkret handelt es sich dabei um rund 1.000 Komponenten von 230 Lieferanten aus 22 Ländern. Elektrische Hochfrequenzfelder bringen die Teilchen in einer Vakuumröhre auf zwei Drittel der Lichtgeschwindigkeit (rund 300.000 Kilometer pro Sekunde). Auf der Kreisbahn wird der Teilchenstrahl dabei von großen Magneten gehalten und fokussiert.

Sobald die Ionen die entsprechende Energie (also Tempo) haben, werden sie zu den Behandlungsplätzen bzw. Forschungseinrichtungen geführt. Kommendes Jahr soll der Beschleuniger in den Probebetrieb gehen.

MedAustron wird über vier Bestrahlungsräume verfügen, wovon drei für die Patientenbehandlung und einer für nicht-klinische Forschung vorgesehen sind. Zwei der drei Behandlungsräume sind baulich so weit fertiggestellt, dass im kommenden Jahr mit der medizintechnischen Ausstattung begonnen werden kann. Im dritten Raum für Patienten wurde heuer die sogenannte "Gantry" installiert. Dabei handelt es sich um ein 220 Tonnen schweres, zwölf Meter hohes Drehgestell, das es erlaubt, den Patienten aus jedem beliebigen Winkel mit einer Genauigkeit von 0,3 Millimeter zu bestrahlen.

Roboter positionieren Patienten

Die Patienten selbst werden von dieser riesigen Maschine im Hintergrund allerdings nichts mitbekommen. Notwendig ist sie allerdings, weil eine schräge Lagerung von Patienten unangenehm ist und ihnen daher nicht zugemutet wird. Zudem würden sich dabei die Organe und damit auch der Tumor verschieben. In den anderen Behandlungsräumen sorgen speziell adaptierte Industrieroboter für die exakte Positionierung der Patienten, denn der Ionenstrahl muss mit einer Präzision von 0,5 Millimeter auf bzw. in das erkrankte Gewebe des Patienten treffen.

Diese werden in einer individuell für sie angefertigten Vakuummatratze immobilisiert. Die Bestrahlung selbst ist schmerzfrei und erfolgt bei Bewusstsein, nur Kinder werden sediert. Die Bestrahlung selbst dauert im Schnitt nur rund 200 Sekunden, Lagerung und Positionierung des Patienten nehmen dagegen insgesamt 15 Minuten in Anspruch.

Präzision und Sicherheit werden insgesamt sehr groß geschrieben. Beim Kreisbeschleuniger werden 3.000 Mal pro Sekunde alle Werte kontrolliert, um die notwendige hohe Qualität des Teilchenstrahls zu gewährleisten. Bei den Patienteneinheiten kontrolliert eine auf der Positionierungseinheit angebrachte CT-Einheit nochmals exakt die Lage und Größe des Tumors, ein Überwachungssystem überprüft 500 Mal pro Sekunde die Position des Patienten. Bevor tatsächlich erste Patienten behandelt werden, "muss kontrolliert werden, ob die 85.000 verschiedenen Einstellmöglichkeiten der Maschine sicher sind bzw. dass sich die Anlage im Fehlerfall richtig verhält", so Mößlacher.

Die Investitionskosten liegen bei rund 200 Mio. Euro, man liege damit im Plan, sagte Klubobmann Klaus Schneeberger (ÖVP) in seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender der Errichtungs- und Betriebsgesellschaft (EBG). Davon kommen 32 Mio. Euro als Eigenkapital einer vom Land NÖ gespeisten Beteiligungsholding, 41 Mio. Euro vom Bund, 3,7 Mio. Euro vom Land, das auch Haftungen in Höhe von 220 Mio. Euro übernommen hat und von der Stadt Wiener Neustadt der Grund sowie 1,9 Mio. Euro.

In Sekundenbruchteilen werden die elektrisch geladenen Teilchen mehrere 100.000 Umläufe absolvieren. Mit bis zu 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit werden sie den Teilchenbeschleuniger verlassen und den größten Teil ihrer Energie direkt im Tumor abgeben und diesen zerstören: Ab Ende 2015 sollen im „MedAustron“ in Wiener Neustadt gezielt ausgewählte Krebspatienten eine Ionentherapie erhalten. Im Jänner übergab der Generaldirektor des Schweizer Forschungszentrums CERN, Prof. Rolf-Dieter Heuer, offiziell einen zentralen Teil des Teilchenbeschleunigers – die Ionenquelle – an MedAustron. Die Anlage wurde am CERN entwickelt.

Die in der Ionenquelle produzierten und danach beschleunigten energiereichen Teilchen haben ihre höchste biologische Wirksamkeit im Tumor, betont die Strahlenmedizinerin und medizinische Leiterin von MedAustron, Univ.-Prof. Ramona Mayer. „Das Gewebe vor dem Tumor wird deutlich geschont und unmittelbar dahinter fällt die Dosis steil ab.“ Deshalb eignet sich diese Therapie besonders für Menschen mit Erkrankungen wie Augen- oder Hirntumoren, wo sich in unmittelbarer Nähe des Tumors oft strahlenempfindliche Organe wie z. B. Sehnerv oder Hirnstamm befinden.

„In der herkömmlichen Strahlentherapie kann es immer wieder dazu kommen, dass nicht die optimale Bestrahlungsdosis verwendet werden kann, weil dadurch umliegendes Gewebe geschädigt würde“, sagt Mayer. „In solchen Fällen ist die Protonentherapie eine gute Alternative.“ Auch für Kinder: „Durch ihre lange Lebenszeit ist bei ihnen das Risiko für Spätfolgen besonders groß – mit der Ionentherapie kann diese Gefahr deutlich reduziert werden.“

Ambulant

Ob ein Patient tatsächlich für diese Form der Bestrahlung geeignet ist, wird in den Spitälern im sogenannten „Tumorboard“ – dem Spezialistenteam, das den Patienten dort betreut – entschieden: „Dieses muss eine Empfehlung abgeben.“ Die Bestrahlung in Wiener Neustadt selbst ist ambulant.

Weltweit gibt es derzeit nur drei Zentren (in Japan, Deutschland, Italien), in denen zwei verschiedene Teilchenstrahlen – Protonen und Kohlenstoffionen – eingesetzt werden. MedAustron wird das vierte. „Kohlenstoffionen haben eine drei- bis fünffach höhere biologische Wirksamkeit als die herkömmliche Strahlentherapie und auch die Protonen“, so Mayer. „Das heißt, sie wirken auch dort, wo man mit diesen beiden Strahlentherapien nicht mehr weiter kommt.“ Erste Daten zeigen gute Erfolge bei schwer behandelbaren Krebsarten wie Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Kommentare