Gericht wollte Sechsjährige holen

Sorgerechtsstreit, Sofia, Doris Povse, St. Veit, Gerichtsvollzieher (tl); GESICHTER VON ALLEN PERSONEN MÜSSEN GEPIXELT WERDEN
Großaufmarsch mit Polizei, doch das Kind war nicht zu Hause. Sechsjährige ist mit ihrer Mutter im Urlaub.

Das Aufgebot hätte ebenso gut für einen Schwerverbrecher sein können. Allerdings ging es darum, ein sechsjähriges Mädchen den Händen ihrer 35-jährigen Mutter zu entreißen und dem italienischen Vater zu übergeben. Doch Mutter und Kind waren nicht zu Hause.

Mittwochfrüh kam es im Industrieviertel zum traurigen Höhepunkt im eskalierenden Sorgerechtsstreit um das kleine Mädchen. Nachdem sämtliche Gerichte bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dem Kindsvater die Obsorge zugesprochen hatten, musste das Bezirksgericht Wr. Neustadt den rechtskräftigen Entscheid vollstrecken. Um 06.30 Uhr Früh sollte es zur gerichtlichen Abnahme der Sechsjährigen und Rückführung nach Italien kommen.

Herausgabe des Kindes

Der KURIER war vor Ort, als der zuständige Richter, vier Gerichtsvollzieher und acht Polizisten vor dem Reihenhaus der Mutter und ihres Lebensgefährten aufmarschierten und läuteten. Der Mann war sichtlich geschockt von dem Aufmarsch vor seinem Haus. Doch seine abneigende Haltung half nichts. Mit dem Gerichtsbescheid in der Hand verschaffte sich der Tross Zutritt und verlangte die „Herausgabe des Mädchens“.

Als dies nicht geschah, wurden die Räumlichkeiten durchsucht. Es kam zu einem lauten Wortduell, der zweijährige Sohn der 35-Jährigen und ihres Lebensgefährten musste die Szenen mitansehen. „Der Kleine ist jetzt auch schon traumatisiert“, berichtet die Anwältin des Paares, Astrid Wagner. Der Bub habe geschlafen und plötzlich seien fremde Männer im Haus gestanden. Auch sein Papa sei fassungslos, was in Österreich möglich ist, sagt Wagner.

Von der Mutter und dem gesuchten Kind hingegen fehlte jede Spur. Die Gerichtsvertreter überbrachten die Nachricht dem italienischen Kindsvater, der in einem Auto vor dem Haus wartete. Laut Wagner sind die Sechsjährige und ihre Mutter auf Urlaub. Wo, verraten weder sie noch der Lebensgefährte. „Jede Auskunft über den Verbleib ist von ihm verweigert worden“, sagt der Sprecher des Landesgerichts Wr. Neustadt, Hans Barwitzius.

Auch wenn der Aufmarsch der Behördenvertreter einer Machtdemonstration glich, waren hinter den Kulissen ganz andere Stimmen zu hören. Hinter vorgehaltener Hand hieß es, dass die Verantwortlichen nur mit Widerwillen die Amtshandlung durchgeführt haben. Menschlich betrachtet fehle das Verständnis für die Kindesabnahme. Barwitzius betont, dass das Urteil nicht das Bezirksgericht gefällt habe: „Wir haben es allerdings zu vollstrecken.“

Das sieht Anwältin Wagner anders: „Meiner Meinung nach ist die Vorgangsweise nicht gerechtfertigt, weil sie gegen die UN-Konvention zur Achtung der Rechte der Kinder verstößt.“ Das Kindeswohl stehe nämlich an erster Stelle und eine gerichtliche Vollstreckung könne ausgesetzt werden, wenn dieses gefährdet sei.

Nächster Schritt

Wagner wird nun einen Antrag beim Verfassungsgerichtshof einbringen, um prüfen zu lassen, ob Menschen- und Kinderrechte verletzt wurden. Fakt sei jedenfalls, dass das kleine Mädchen bereits traumatisiert ist. Sollte sie aus der Familie herausgerissen werden, drohe sogar eine Persönlichkeitsstörung. Das habe ein psychiatrisches Gutachten ergeben, sagt Wagner. Die Anwältin kann nicht verstehen, warum ein Brief an Justizministerin Beatrix Karl unbeantwortet geblieben ist. „Die Politiker sind schon aufgerufen, die derzeitige Gesetzeslage zu prüfen.“

Der jahrelang schwelende Sorgerechtsstreit hatte bereits vor Mittwochfrüh schlimme Auswirkungen auf die Familie und natürlich besonders auf die Sechsjährige. „Sie sieht ja, dass es ihrer Mama schlecht geht, sie beißt massiv Nägel und hat wegen jeder Kleinigkeit Wutanfälle“, sagte ihre Mutter vor Kurzem im Gespräch mit dem KURIER. Sogar selbst verletzendes Verhalten würde das Mädchen an den Tag legen.

Der Kindsvater, der laut der Mutter während der Beziehung gewalttätig gewesen sein soll, habe bisher kein Interesse an dem Kind gezeigt. Seit 2009 habe es keinen Kontakt mehr gegeben, sagt die Frau, die in Italien wegen Kindesentführung zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Deshalb könne sie auch nicht dorthin und würde daher Gefahr laufen, ihre Tochter nach der Abnahme gar nicht mehr zu sehen. Die Sechsjährige würde zum Lebensgefährten „Papa“ sagen und habe auch ein inniges Verhältnis zu ihrem Bruder. „Was ist mit ihm? Hat er kein Recht auf seine Schwester?“, so die Mutter. „Meine Tochter ist sechs Jahre alt. Sie kennt ihren Vater nur von Fotos, spricht kein Wort Italienisch“, sagte die Mutter. „Zuletzt hat der Vater 2009 von seinem Besuchsrecht Gebrauch gemacht, seitdem hat er nicht versucht, das Kind zu sehen.“

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