Justiz-Pleite im Tierschützer-Prozess

Martin Balluch nach seinem Freispruch im Tierschützer-Prozess. Im Juni beginnt sein Zivilprozess: Er klagt die Republik auf 600.000 Euro
Millionenkosten und 13 Freisprüche, jetzt beginnt der Kampf um den Schadenersatz.

Der Einspruch des Staatsanwalts gilt als unwahrscheinlich. Die Justiz-Pleite ist praktisch perfekt. Am Dienstag gab es im Landesgericht Wiener Neustadt den 13. und letzten Freispruch im sogenannten Tierschützer-Prozess. "Zwischen zehn und 15 Millionen Euro", schätzt Stefan Traxler, der Anwalt des letzten Angeklagten Felix Hnat, hat der Prozess dem Steuerzahler gekostet – an Gerichts- und Ermittlungskosten, Gebühren und Anwaltskosten. Das Justizministerium will die Summe weder bestätigen noch dementieren.

Zum Abschluss musste sich der 31-jährige Hnat in der Neuauflage wegen schwerer Nötigung, Sachbeschädigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt verantworten. Richter Erich Csarmann brauchte nicht die zwei angesetzten Verhandlungstage, um seinen Freispruch zu verkünden. Zu haltlos waren die Vorwürfe des Staatsanwalts: eMails, in denen Demonstrationen angekündigt werden, waren für ihn keine Nötigung. Auch sonst konnte die Anklägerin keine stichhaltigen Beweise präsentieren.

Zivilverfahren

Noch drei Tage (Einspruchsfrist, Anm.), "dann haben wir den ganzen Mist endgültig hinter uns", war auch Verteidiger Traxler erleichtert. Mit dem "Mist" meint er das Strafverfahren, das im März 2010 vor dem Landesgericht Wiener Neustadt mit 13 Angeklagten begonnen hatte (siehe Chronologie). Die Gerichte werden die Tierschützer aber weiter beschäftigen. Nach dem Ende des Strafverfahrens geht es vor dem Zivilrichter weiter. Dabei geht es um viel Geld.

Rund 27.000 Euro an Entschädigung haben die freigesprochenen Aktivisten bisher erhalten. Für 105 Tage in U-Haft und einen Prozess, der sie schon im Erstverfahren 98 Tage lang auf die Anklagebank zwang. "Wer gibt schon jemandem einen Job, von dem er erwarten muss, dass er ständig bei Gericht sitzt", meint Hnat. Der studierte Volkswirt musste zwischenzeitlich wieder bei seiner Mutter einziehen, lebt derzeit von Arbeitslosengeld.

Die Kosten der Angeklagten übersteigen die Entschädigung um ein Vielfaches. "Ein Schaden, den wir jetzt einklagen werden", erklärt Anwalt Traxler. Er vertrat neben Hnat im Erstverfahren auch Martin Balluch – Obmann des Vereins gegen Tierfabriken und das "Gesicht" des ersten Prozesses nach § 278a (Mafia-Paragraf).

Balluch: "Ein Risiko"

Für Balluch ist ein Verfahren beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien schon anhängig, weitere sollen zügig folgen. "Es geht um die Verjährung. Wir können die Ansprüche nur innerhalb von drei Jahren geltend machen", sagt Traxler. Balluch hat 600.000 Euro eingeklagt. Da die Fälle der einzelnen Aktivisten alle ähnlich gelagert sind, werden sich die Ansprüche der anderen Angeklagten in diesen Dimensionen bewegen.

Das Hauptargument der Tierschützer für den Schadenersatzanspruch gegen die Republik soll das Vorenthalten von entlastendem Material durch die Polizei sein. Mit der Klage gehen die Tierschützer aber auch ein Risiko ein. "Wenn wir verlieren, erhöhen sich unsere Kosten noch einmal", erklärt Balluch. Die Prozesskosten der Zivilverfahren werden mit 70.000 Euro beziffert.

Die 2006 mit Ermittlungen begonnene Causa Tierschützer hat nun für alle 13 Aktivisten, die 2011 am Landesgericht Wiener Neustadt vom Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Organisation freigesprochen wurden, ein Ende. In der teilweisen Neuauflage gab es im Mai für fünf Angeklagte in drei Verfahren wegen u.a. Tierquälerei und Nötigung Freisprüche - vier davon sind bereits rechtskräftig.

Im Folgenden eine Chronologie des Verfahrens:

21. Mai 2008: Bei Tierschützern in ganz Österreich werden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Zehn Personen kommen in Untersuchungshaft. Ihnen werden "zahlreiche Brandstiftungen, Gasanschläge und andere schwere Sabotageakte auf Lebensmittelkonzerne, Bekleidungshandelsketten, pharmazeutische Unternehmen, Produzenten landwirtschaftlicher Produkte und jagdliche Einrichtungen" vorgeworfen. Die Beschuldigten seien zudem "verdächtig, radikale Mitglieder einer militanten, unter mehreren Pseudonymen verdeckt auftretenden und international vernetzten Personengruppe zu sein".

13. August 2008: "Mangels Haftgründen" wird ein Tierschützer aus der Untersuchungshaft entlassen.

2. September 2008: Nach mehr als 100 Tagen werden auch die restlichen Aktivisten enthaftet. Eine Verlängerung der U-Haft wäre im Hinblick auf das "Ausmaß der realistischerweise zu erwartenden, unmittelbar zu vollziehenden Strafen" wohl "unverhältnismäßig", heißt es in einer Presseerklärung.

11. August 2009: Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat einen Strafantrag gegen zehn Tierschützer fertiggestellt. Er umfasst rund 200 Seiten und enthält auch den zentralen Vorwurf der Bildung einer kriminellen Organisation nach dem sogenannten Mafia-Paragrafen 278a Strafgesetzbuch (StGB).

1. Februar 2010: Die Anklage wird ausgeweitet. Vor Gericht müssen sich nun 13 Aktivisten verantworten, sechs davon ausschließlich nach Paragraf 278a StGB, sieben weitere u.a. wegen Nötigung und Sachbeschädigung.

2. März 2010: Der von Kundgebungen begleitete Prozess beginnt in Wiener Neustadt. Vorerst sind 34 Verhandlungstage bis 17. Juni 2010 angesetzt - 88 werden es.


18. November 2010: Es wird bekannt, dass eine verdeckte Ermittlerin unter dem Decknamen "Danielle Durand" über ein Jahr lang in den Verein gegen Tierfabriken (VGT) eingeschleust in der Tierschutzszene ermittelt hat. Sie sagt im Dezember und Jänner 2011 als Zeugin vor Gericht aus.

2. Mai 2011: Der Urteilstag: Die Beschuldigten werden von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen, die Richterin übt harsche Kritik an der Soko Bekleidung.

3. Mai 2011: Die Staatsanwaltschaft meldet Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld an. Die Urteilsbegründung sei in vielen Punkten nicht nachvollziehbar gewesen.

Anfang Februar 2012: Das schriftliche Urteil ist ausgefertigt. Die Anklagebehörde hat bis Ende Juni Zeit, um über die Durchführung der Berufung zu entscheiden.

5. Juni 2012: Die Staatsanwaltschaft Wien stellt ein wegen Falschaussage laufendes Verfahren gegen den damaligen Chef der Soko Bekleidung, Erich Zwettler, ein. Die Anzeige hatte der Erstangeklagte Martin Balluch, Obmann des VGT (Verein gegen Tierfabriken), erstattet.

29. Juni 2012: Der im Mai 2011 erfolgte Freispruch der angeklagten Tierschützer vom Vorwurf des Mafia-Paragrafen 278a StGB ist rechtskräftig. Das Justizministerium kündigt eine Reform des umstrittenen Paragrafen an.

20. Juli 2012: Der VGT-Obmann zeigt Spitzenbeamte des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und des Wiener Landesamts (LVT) wegen übler Nachrede, Verleumdung und Amtsmissbrauchs an, weil die Anschuldigungen trotz rechtskräftigen Freispruchs im Verfassungsschutzbericht 2012 wiederholt würden.

27. August 2012: Das Wiener Straflandesgericht lehnt weitere Ermittlungen gegen die Polizei-Sonderkommission ab.

2. Oktober 2012: Fünf der ehemals 13 Angeklagten übermitteln dem Oberlandesgericht Wien (OLG) ihre Gegenäußerungen zur Berufung. Die Staatsanwaltschaft hatte nach dem Urteil im Mai 2011 zwar nicht im wesentlichen Anklagepunkt berufen, wohl aber gegen die Freisprüche wegen schwerer Nötigung, Sachbeschädigung, Widerstands gegen die Staatsgewalt und Tierquälerei. Nun ist das OLG am Zug - und das Warten auf einen Ausgang des mittlerweile vier Jahre dauernden Verfahrens geht für die fünf Beschuldigten weiter.

10. Juni 2013: Das OLG hebt einen Teil der Freisprüche auf. Nicht rechtskräftig werden die Freisprüche von fünf Beschuldigten in Bezug auf Nötigung und versuchte Nötigung, Sachbeschädigung, Sachbeschädigung und Tierquälerei sowie Widerstand gegen die Staatsgewalt, sei erwartet eine neue Verhandlung.

Juli 2013: In Reaktion auf die teilweise Prozess-Neuauflage u.a. wegen Nötigung ruft der VGT zu Selbstanzeigen auf, in denen friedliche Kampagnen gegen eine Pelzartikel verkaufende Sporthandelskette angekündigt werden.

August 2013: Alle offenen Verfahren gegen Balluch werden eingestellt. Er klagt die Republik auf Schadenersatz.

12. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft legt die eingegangenen 3.000 Selbstanzeigen mangels "Ernstlichkeit" zurück, der VGT kündigt neue an.

3. April 2014: Laut Entscheidung des Wiener Verwaltungsgerichts war die verdeckte Ermittlung aus sicherheitspolizeilichen Gründen zulässig.

7. April 2014: Der von Balluch angezeigte linguistische Gutachter im Prozess wird aus der Liste gerichtlich beeideter Sachverständiger gestrichen.

13. Mai 2014: Die in drei Verfahren gegliederte neue Verhandlung startet in Wiener Neustadt. Nach nur 90 Minuten spricht Einzelrichter Erich Csarmann den angeklagten ehemaligen Kampagnenleiter von "Vier Pfoten" vom Vorwurf der Tierquälerei im Rahmen einer Schweinebefreiung frei. Es mangle an Beweisen dafür. Der VGT wertet den Ausgang als "Glanzstunde für den Rechtsstaat".

16. Mai: Die Staatsanwaltschaft verzichtet auf den Gang in die zweite Instanz - der Freispruch ist damit rechtskräftig.

19. Mai: Freispruch für drei BAT-Aktivisten vom Vorwurf der versuchten Nötigung im Rahmen einer Anti-Pelz-Demo, Csarmann sah den Tatbestand "in keinster Weise" erfüllt.

22. Mai: Wieder meldet die Staatsanwaltschaft keine Rechtsmittel an - Rechtskraft.

27. Mai: Als letzter kann ein der Nötigung, Sachbeschädigung und des Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagter ehemaliger VGT-Mitarbeiter aufatmen: Der Richter verzichtet auf den zweiten Verhandlungstag und spricht ihn ebenfalls frei.

"Froh, dass alle freigesprochen wurden", zeigt sich Albert Steinhauser, Justizsprecher der Grünen. Eine Verurteilung der Tierschützer hätte "Zündstoff für jeglichen politischen Protest" mit sich gebracht. Letztendlich habe der Rechtsstaat funktioniert, sagt Steinhauser, "aber der Prozess war keine gute Visitenkarte für die Justiz".

Die Grünen wollen sich im Parlament dafür einsetzen, dass die Tierschützer trotz Freispruchs nicht auf den Prozesskosten sitzen bleiben.

Ähnlich sieht es SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim: "Die Exekutive hat Schritte mit teilweise unredlichen Mitteln gesetzt. Hier kann man durchaus von Staatsschuld sprechen." Diese Schuld müsse der Staat ausgleichen, um zu verhindern, dass dadurch Existenzen gefährdet werden. Gesetzliche Änderungen – der "Mafiaparagraf" 278a wurde durch die Erfahrung des Tierschützer-Prozesses abgeändert – seien bereits erfolgt.

"In Wirklichkeit wurde ein bisschen falsch angeklagt", meint Harald Stefan, Justizsprecher der FPÖ. Wenn es zu Nötigung oder Ähnlichem gekommen wäre, hätte das normale Strafgesetz ausgereicht. Die geringe Entschädigung bei Strafprozessen sieht auch Stefan als "großes Problem", das viele Leute betreffe. "Es kann nicht sein, dass der Bürger vom Staat verklagt wird und dann die Kosten tragen muss."

Seitens der ÖVP und seitens des Justizministeriums wollte man zu den Entscheidungen im Tierschützerprozess keine Stellungnahme abgeben. Im ÖVP-Parlamentsklub spricht man zum Thema Entschädigung von einem "Riesenproblem, das geändert werden müsse.

Die Neos haben den vollen Kostenersatz bei Strafprozessen im Parteiprogramm. "Das kann ich sofort in einen parlamentarischen Antrag gießen", sagt deren Justizsprecherin Beate Meinl-Reisinger.

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