Fritzls „graues Kaff“ wehrt sich

Fritzls „graues Kaff“ wehrt sich
Der Roman „Claustria“ über den Fall Josef Fritzl sorgt in dessen ehemaliger Heimat für Empörung. Gelesen hat ihn aber noch niemand.

Die Provokation greift im Ort des Grauens schlecht. Der nun auf Deutsch erschienene Roman "Claustria" des Franzosen Régis Jauffret, der den Inzestfall des Josef Fritzl zum Thema hat, ist am Tatort Amstetten noch kein besonderer Aufreger. In der vom Autor als "graues Kaff" beschriebenen Stadt nützen die Leute Freitagmittag die herbstlichen Sonnenstrahlen und genießen ihren Espresso in einem der Schanigärten entlang der Wiener­straße. Gesprächsthema sind das Wetter und die Schularbeitstermine der Kinder.

Ärger und Unverständnis über die künstlerische Freiheit und die Pauschal-Verurteilung durch den Autor gibt es in Amstetten dennoch.

In den örtlichen Buch­läden herrschte in den vergangenen Tagen nur vereinzelt Nachfrage. Und beim Wochenmarkt am Hauptplatz erregte das Reizwort Fritzl bei den Leuten allgemeine Entrüstung. Das Buch "Claustria" selbst ist noch weitgehend unbekannt. "Lassen S’ mich damit in Ruhe. Da kann niemand hier etwas dafür", war von einer gestressten Einkäuferin zu hören. Und Heimo Achleitner, der seit 25 Jahren hier lebt: "Die Sache ist abgehakt und zum Vergessen. Diese Blödheiten nehme ich nicht ernst." Josef Fellhofer, ein "Ur-Amstettener", verteidigt seine Stadt, steht der Auf­arbeitung des Fritzl-Falls durch die Justiz aber kritisch gegenüber: "Die Gschicht ist eine einzige Depperei. Dass damals seine Frau nix gewusst haben soll, ist nicht zu glauben." Auch Jauffret geht in seinem "fiktiven Roman" davon aus, dass es Mitwisser gegeben haben müsse. "Ich weiß von dem Wirbel um das neue Buch", sagt Urgestein Fellhofer. Es gebe auch anderswo Fälle von eingesperrten Menschen, "aber auf Amstetten stürzen sich jetzt wieder alle".

Kopfschütteln auch bei der Verkäuferin Anita Lachinger in einer Buchhandlung im City-Einkaufscenter. Bis Freitagmittag war nur ein einziges "Claustria"-Exemplar verkauft. Dem Vorwurf des Buchautors, dass Fritzls Nachbarn und Mieter vom Grauen im Keller gewusst haben müssten, widerspricht sie vehement. "Ich habe in dem Haus gewohnt. Wir haben von den schrecklichen Dingen unter uns wirklich nichts mitbekommen", behauptet sie.

Gegenangriff

Fritzls „graues Kaff“ wehrt sich

Jauffrets pauschale Verurteilung des systemisierten Verschweigens und Verdrängens lässt auch Bürgermeisterin Ursula Puch­ebner nicht auf ihrer Stadt sitzen: "Ich kenne das Buch noch nicht. Aber es ist ein Wahnsinn. Es gab mittlerweile viele ähnliche Fälle in anderen Ländern. Jetzt muss wieder Amstetten herhalten." Von den viel zitierten Recherchen des Franzosen habe sie im Rathaus nichts bemerkt. "Dann hätte er nämlich mitbekommen, dass bei uns in Sachen Gewalt gegen Frauen und Kinder extrem viel Bewusstseinsarbeit geleistet wurde und wird", sagt Puchebner.

Maria Reichartzeder vom Frauenhaus Amstetten kann das nur bestätigen: "Es gibt sicher in ganz Österreich keine Region, in der es für Frauen ein so dichtes Netz an Schutz- und Hilfsangeboten gibt wie bei uns." Das Frauenhaus existiert bereits seit 20 Jahren.

Fritzl-Turbo

Der Fall Fritzl habe aber einen Turbo-Effekt beigesteuert. Reichartzeder schloss den Kreis wieder zum Hauptplatz in Jaufretts "grauem Kaff". Dort gab es 2008 eine große Kund­gebung und ein Lichtermeer aus Solidarität zu der 24 Jahre lang gefangen gehaltenen und missbrauchten Fritzl-Tochter und ihren Kindern. Jährlich werde hier auch aufmarschiert, um den Widerstand gegen Gewalt an Frauen zu dokumentieren. "Dass da nicht jedes Mal der Name Fritzl genannt wird, sollte jeder verstehen", meint die Frauenhaus-Aktivistin.

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