Fall Kührer: "Ich habe der Julia nichts getan"

Fall Kührer: "Ich habe der Julia nichts getan"
Der Ex-Freund verwickelte sich in Widersprüche / Pannen bei der Polizeiarbeit.

Jahrelang jagte die Polizei einem Phantom nach. Julia Kührer soll am Tag ihres Verschwindens, kurz nachdem sie in Pulkau vom Schulbus ausgestiegen war, mit zwei Jugendlichen in einem silbernen Pkw gesprochen haben. Dann wurde sie nicht mehr gesehen. Gestern stellte sich vor Gericht heraus: Dieses Auto und diese Jugendlichen dürfte es nie gegeben haben. Der Augenzeuge erklärt: „Die Vernehmungssituation mit der Polizei war damals unangenehm. Ich bin hart vernommen worden. Ich war unsicher.“ Und er sagt: „Ich bin mir nicht sicher. Ich muss das mit einem anderen Tag verwechseln.“

Tag fünf im Prozess rund um den Tod von Julia Kührer im Landesgericht Korneuburg. Und diesmal kam auch ein ehemaliger Tatverdächtiger: Thomas Sch., der Ex-Freund der damals 16-Jährigen. Er hätte bereits aussagen sollen – war aber im Krankenhaus in stationärer Behandlung.

Kurz vor Julias Verschwinden trennte er sich von ihr. „Ich war froh, frei zu sein“, erklärt er. Im Vorfeld gab es einen Streit. Kührer bezichtige ihn der Untreue. „Ist sie Ihnen irgendwie mühsam geworden?“, fragt Richter Helmut Neumar. „Genau“, erklärt Sch.. Julia wäre es lange nicht gut gegangen, sie hat unter Schlaflosigkeit und Kopfschmerzen gelitten.

Dennoch. Immerhin ein Dreiviertel Jahr war das Paar zusammen. Vor dem Angeklagten Michael Kollitsch hätte er mit ihr angegeben. Intime Details wurden ausgeplaudert.

Drogen, sprich Cannabis, hätte auch Julia konsumiert. „Aber sie war nicht so versessen darauf wie ich.“ Sch. selbst versuchte sich als Cannabis-Bauer. Und zwar auf dem Anwesen Kollitschs. Der Versuch ging schief. Wie das Ganze zustande kam, darüber gibt es zwei Versionen. Sch. sagt: „Er hat mir das angeboten.“ Kollitsch sagt: „Er hat mich gefragt.“ „Möglich“, räumt Sch. daraufhin ein. Und auch darüber, ob er einen Schlüssel zum Anwesen Kollitschs hatte, um die Pflanzen zu hegen, gibt es unterschiedliche Versionen.

Zweifel

„Ich habe der Julia nichts getan“, beteuert der Ex-Freund. Der beisitzende Richter Rainer Klebermaß hat Zweifel: „Sie weichen immer so aus. Verbergen Sie etwas? Wissen Sie, wer ihr etwas angetan hat?“ Von Sch. kommt ein klares „Nein“.

Ermittler am Wort

Auch die Cold-Case-Ermittler des Bundeskriminalamtes sind am Wort. Chefermittler Kurt Linzer gerät ins Kreuzfeuer der Kritik. Im April 2010 kam ein interessanter Hinweis. Man möge sich doch den Kollitsch anschauen. Der sei ein dubioser Mensch und könnte etwas mit dem Verschwinden von Julia zu tun haben. „Der hat auch einen Keller.“Was taten die Ermittler? Sie riefen Kollitsch an, vereinbarten für den nächsten Tag eine freiwillige Nachschau. In den Keller schauten sie nicht. „Was hat Sie abgehalten, mit einem Leichenspürhund in den Keller zu gehen?“, fragt Verteidiger Farid Rifaat. „Hätten wir machen können“, gibt Linzer zu. „Haben wir aber nicht.“ Es hätte Hunderte Hinweise gegeben. Von Dubai bis zum Schwedenplatz. Ermittler gab es nur drei.

Kollitsch galt damals als wichtiger Zeuge rund um die Drogen-Ermittlungen, die in Julias Dunstkreis durchgeführt wurden. „Wir hätten keinen Beschluss für eine Hausdurchsuchung bekommen“, erklärt Linzer. Darum der Anruf bei Kollitsch, der sich kooperativ zeigte. In den Keller habe er hineingeschaut, sagt Linzer. „Aber er war stark baufällig.“ Hinein ging er nicht.

Ein Fehler, wie sich mehr als ein Jahr später herausstellte. Im hintersten Winkel des Kellers lagen die sterblichen Überreste Julias. „Es hätte nichts geändert, wenn wir sie ein Jahr früher gefunden hätten“, ist Linzer überzeugt.

Im Folgenden eine Chronologie der Ereignisse rund um den Tod von Julia Kührer.

27. Juni 2006: Die 16-jährige Julia Kührer aus Pulkau in Niederösterreich kommt von der Schule nicht mehr nach Hause.

November 2006: Trotz intensiver Suche bleibt die Jugendliche verschwunden. Ein Ermittlungsteam des Landeskriminalamtes Niederösterreich (LKA NÖ) bearbeitet den Fall.

Jänner/Februar 2010: Das Bundeskriminalamt (BK) rollt den Fall neu auf.

März 2010: Neuerlich wendet sich die Polizei an die Öffentlichkeit. Mehr als 150 Hinweise gehen ein. Ein Jugendlicher liefert Hinweise zu drei Personen, mit Julia Kührer zuletzt gesehen worden sein soll.

10. Mai 2010: Die drei Jugendlichen werden festgenommen. Sie sollen, so die Polizei, bewusst Informationen zurückgehalten haben.

12. Mai 2010: Alle drei Festgenommenen werden enthaftet. Die Indizien reichen laut dem Haftrichter in Korneuburg nicht für einen hinreichend dringenden Tatverdacht aus.

4. August 2010: Eine neue Abbildung der Abgängigen, bei dem das Institut für Anthropologie der Universität Freiburg berechnet hat, wie Kührer vier Jahre nach ihrem Verschwinden aussehen könnte, bringt neue Hinweise - aber keinen Durchbruch.

11. April 2011: Das Bundeskriminalamt setzt 25.000 Euro Belohnung aus.

30. Juni 2011: In Dietmannsdorf (Bezirk Hollabrunn) in der Nähe des Wohnortes von Julia werden in einem Erdkeller Knochenteile gefunden. In den folgenden Tagen wird das vollständige Skelett entdeckt.

1. Juli 2011: Der 50-jährige Besitzer des Kellers und Verfügungsberechtigte über das Grundstück, der in Wien wohnt und die 16-Jährige kannte, wird festgenommen. Er leugnet jeden Tatzusammenhang. Unbekannte sollen die Tote auf seinem Grundstück abgelegt haben.

3. Juli 2011: Michael K. wird enthaftet. Der zuständige Richter sieht keinen Tatverdacht. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg bringt - ohne Erfolg - gegen die Enthaftung Beschwerde beim Oberlandesgericht ein.

5. Juli 2011: Im Zuge weiterer Ermittlungen am Fundort wird ein Teil einer verbrannten blauen Decke gefunden. Sie soll auf DNA-Spuren untersucht werden, die zum Täter führen können.

Jänner 2012: Die sterblichen Überreste Julia Kührers werden von der Staatsanwaltschaft Korneuburg freigegeben. Ernüchterndes Ergebnis der Gerichtsmedizin: Die Todesursache kann nicht festgestellt werden.

4. Februar 2012: Mehr als fünf Jahre nach ihrem Verschwinden und sieben Monate nach dem Auffinden ihrer skelettierten Leiche wird die Tote beigesetzt.

August 2012: Ermittler des BK suchen erfolglos Käufer einer Decke der Marke "Borbo Orion", die neben der Leiche gefunden wurde.

5. Dezember 2012: Der bereits 2011 verdächtigte Michael K. wird erneut in Wien festgenommen. Auf dem verkohlten Deckenrest, das sich bei der Leiche Julias befand, wurden DNA-Spuren des mittlerweile 51-Jährigen sichergestellt.

Februar 2013: Die Staatsanwaltschaft Korneuburg schließt das Ermittlungsverfahren im Fall Kührer ab.

April/Mai 2013: Die Mordanklage wird fertiggestellt. Der Zustellung folgt ein Einspruch, den die Verteidigung dann wieder zurückzieht.

Juli 2013: Der Prozesstermin wird fixiert. Das Landesgericht Korneuburg schreibt Verhandlungstage am 10., 11., 12., 17., 19., 20. und 24. September aus. Das Aufgebot im Beweisverfahren ist groß: Rund 100 Zeugen und sechs Sachverständige sind geladen.

3. September 2013: Das Landesgericht hält zur Anklageschrift fest, dass die Leiche Spuren von Gewaltanwendung aufwies. Die Staatsanwaltschaft gehe von einer sexuell motivierten Gewalttat in der Videothek des Angeklagten in Pulkau aus. Die Leiche soll er dann später weggeschafft haben. Der Beschuldigte soll rund eine Viertelstunde, bevor Julia zuletzt gesehen worden war, mit seinem Handy in Pulkau eingeloggt gewesen sein. Zudem hätten sich Spuren der blauen Decke, in die die sterblichen Überreste der Schülerin gewickelt waren, mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Wohnung des Angeklagten befunden.

5. September 2013: Anwalt Farid Rifaat bekräftigt in einem Pressegespräch, dass sich sein Mandant nicht schuldig bekennen wird. Weder die Todesursache noch der Tatzeitpunkt stünden fest. Ein Urteil wird für den 24. Oktober erwartet.

Kommentare