Polit-Kuriosum statt Systemwandel

Polit-Kuriosum statt Systemwandel
Für Peter Filzmaier ist der Proporz nicht zeitgemäß. Die Grünen werden die Regierung nicht wählen.

Im Rahmen ihres Arbeitsübereinkommens haben sich ÖVP und SPÖ in NÖ geeinigt, den Proporz nicht abzuschaffen. Das hat bei KURIER-Lesern für heftige Reaktionen gesorgt. Und nicht nur bei diesen: Die Grünen, erklärte Gegner des Proporzes, werden ihrem Protest kommende Woche Ausdruck verleihen. Bei der konstituierenden Sitzung des Landtags werden die vier Abgeordneten dem Landeshauptmann und allen Regierungsmitgliedern die Zustimmung verweigern.

Der KURIER fragte beim Politik-Experten nach, welchen Sinn die automatischen Zuteilung von Regierungsämtern gemäß dem Wahlergebnis noch hat. Politologe Peter Filzmaier hält den Proporz für überholt.

KURIER: Welchen Stellenwert hat der Proporz in der heutigen Zeit auf Länder-Ebene?

Filzmaier: Die Bedeutung und auch die Verdienste des Proporzes sind vor allem historisch zu verstehen. Schließlich hatten wir in Österreich 1934 eine Politik, in welcher die politischen Lager aufeinander geschossen haben. Da war es in der Situation des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg naheliegend, dass man möglichst viele Parteien quasi an einen gemeinsamen Regierungstisch zwingen wollte. Heute fangen vor allem jüngere Niederösterreicher naturgemäß mit diesen Geschichtsbezügen wenig an.

War die Nicht-Abschaffung des Proporzes in Niederösterreich eine vergeben Chance?

Ja. Der Trend geht klar in Richtung Abschaffung des Proporzes, in Salzburg und Tirol bereits in den 90er-Jahren. Ab 2015 gibt es in der Steiermark keinen Proporz mehr, wenig später wahrscheinlich auch nicht in Kärnten. Vorarlberg hatte nie ein Proporzsystem, in Wien existiert ein solches auch nur in der rein symbolischen Form von nicht amtsführenden Stadträten. Im Burgenland war man einmal bereits nahe an der Abschaffung, ansonsten bleiben nur Ober- und Niederösterreich. Tradition ist gut und schön, doch ich weiß nicht, ob diese Länder nicht irgendwann das Image des Beharrens auf veralteten Politstrukturen erhalten.

Ist die Proporzregierung ihrer Meinung nach „zeitgemäß“?

Nein. Schließlich müssen wir kaum befürchten, dass Parteien ihren Streit wiederum mit Waffen austragen und es ohne Proporz Tote gäbe. Hinzu kommt die Gefahr eines demokratischen Paradoxons, das es etwa in Oberösterreich gibt. Dort haben Proporzsystem und Wahlergebnis dazu geführt, dass alle im Landtag vertretenen Parteien auch in der Regierung sitzen. Gleichzeitig ist der Landtag das Kontrollorgan der Regierung. Wie soll das ohne Oppositionspartei funktionieren? Hätten FPÖ und Grüne ein paar Stimmenprozente mehr erhalten, wäre in Niederösterreich das gleiche Kuriosum entstanden.

Welche Vorteile bringt der Proporz dem Bürger?

Natürlich erhöht sich durch das Proporzsystem die Zahl jener Bürger, welche sich indirekt auch in der Regierung vertreten fühlen. Wenn alle Parteien ab einer bestimmten Wählerzahl automatisch Regierungsmitglieder stellen, so haben zwangsläufig mehr Wahlberechtigte je nach Parteipräferenz „ihren“ Landesrat als Identifikationsfigur. Ob das wirklich ein großer Vorteil ist, wage ich aber zu bezweifeln.

Welche Nachteile sehen Sie?

Beim Wähler kann das Gefühl entstehen, dass sowieso immer dieselben Parteien und Personen regieren. Eine freie Koalitionsbildung macht Veränderungen zumindest wahrscheinlicher.

Warum möchte die SPNÖ den Proporz aufrecht erhalten?

Ein Proporzsystem garantiert vor allem kleineren Parteien die Regierungsbeteiligung und damit zumindest eine minimale politische Gestaltungsmöglichkeit und damit auch Macht. Die niederösterreichische SPÖ befürchtet womöglich ohne Proporz in der Versenkung zu verschwinden, denn reine Oppositionsarbeit können FPÖ und Grüne vielleicht besser – und als Koalitionspartner dem Wollen der ÖVP ausgeliefert zu sein, das will man sicher nicht.

Das Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und SPÖ sieht auch die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vor, in der das weitere Vorgehen in Sachen Veranlagung fixiert werden soll. Jetzt melden sich die Grünen zu Wort und wollen die Leitung dieser Gruppe übernehmen.

Schließlich hätten ÖVP und SPÖ die Veranlagung vor mehr als zehn Jahren gemeinsam abgesegnet, argumentiert die Grüne Landeschefin Madeleine Petrovic. „Vieles ging schief. Vieles liegt im Argen. Wir wollen jetzt verhindern, dass sich die Parteien gegenseitig decken.“ Die Grünen würden „die spekulativen Finanzgeschäfte“ seit zehn Jahren genau beobachten. „Wir garantieren Kontrolle und Transparenz“, sagt Petrovic. Sie will die Grüne Finanzsprecherin Helga Krismer ins Gremium schicken: „Ihre Arbeit als Aufdeckerin hat sich bewährt.“

Noch gibt es keinen konkreten Termin für den Start der Gespräche. Und ÖVP-Klubchef Schneeberger ist strikt gegen den Plan der Grünen: „Ein Grüner als Vorsitzender taugt so viel wie ein Ochse als Seiltänzer.“

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