Dilemma mit Österreichs Atommüll

Dilemma mit Österreichs Atommüll
Die Grünen kritisieren, dass die Regierung bei der Umsetzung einer EU-Richtlinie säumig ist.

Tschechien braucht Lösungen für die Entsorgung seiner hoch radioaktiven Brennstäbe aus den beiden Atomkraftwerken Temelin und Dukovany. Eines ihrer größten Probleme ist dabei Österreichs Widerstand gegen ein mögliches grenznahes Atommüll-Endlager in Südböhmen oder Südmähren. Doch – was die wenigsten Bürger wissen: eigentlich steckt Österreich in einem ähnlichen, wenn auch nur mittel bis schwach radioaktiven Dilemma.

Die Regierung hat seit Jahren keine Antwort auf die Frage, wo Österreichs Atommüll, der aus Forschung und Medizin stammt, sicher endgelagert werden soll. Obwohl alle Mitgliedsstaaten auf Basis einer EU-Richtlinie verpflichtet sind, für die Entsorgung und Endlagersuche einen Gesetzes-, Organisations- und Vollzugsrahmen zu schaffen, sei Österreich bislang säumig, kritisieren die Grünen. Trotz eines Mahnschreibens der EU und einer weiteren Frist im August seien noch keine wesentlichen Punkte ausgearbeitet und umgesetzt worden.

Vertrag verlängert

Aus dem Umweltministerium heißt es dazu, ein Großteil der Verpflichtungen sei schon durch das bestehende Strahlenschutzgesetz erfüllt. Fakt ist: Der bestehende Vertrag mit dem Atommüll-Zwischenlager Seibersdorf, NÖ, wurde (schon zum dritten Mal) bis 2045 verlängert.

Dilemma mit Österreichs Atommüll
APA15353642-2 - 30102013 - WIEN - ÖSTERREICH: THEMENBILD-PAKET - Nationalratsabgeordneter Matthias Köchl (Grüne) am Dienstag, 29. Oktober 2013, im Rahmen eines Fototermins im Parlament in Wien. APA-FOTO: HELMUT FOHRINGER
Geht es nach der EU-Richtlinie "RL 2011/70 Euratom" müssen alle EU-Mitgliedsstaaten bis 23. August 2015 die Inhalte ihres nationalen Programms "zur Umsetzung der Politik für die Entsorgung abgebrannter Brennstäbe und radioaktiver Abfälle" in Brüssel vorlegen. Davor muss es laut Vorgabe eine Strategische Umweltprüfung (SUP) unter Beteiligung der Öffentlichkeit geben. Die Konzepte müssen technische Lösungen für die Entsorgung radioaktiver Abfälle von der Erzeugung bis zur Endlagerung enthalten.

Doppelmoral

"Die Regierung hat noch nicht einmal mit der Konzeption eines Prozesses zur Erstellung eines Entsorgungsprogramms begonnen" , kritisiert Matthias Köchl, Anti-Atom-Sprecher der Grünen. Er ist überzeugt, dass Österreich ein Vertragsverletzungsverfahren riskiert. "Mit dieser Strategie setzt sich Österreich als dezidiert Atomkraft-kritisches Land nicht nur den Vorwurf der Doppelmoral aus. Die Hoffnung, ein anderes Land werde die Endlagerung der österreichischen radioaktiven Abfälle übernehmen, ist in höchstem Maße unrealistisch", betont Köchl.

Dilemma mit Österreichs Atommüll
Interview mit dem Minister für Land- und Forstwirtschaft Andrä Rupprechter und dem Direktor des Botanischen Gartens Michael Kiehn am 04.05.2015 in Wien
Umweltminister Andrä Rupprechter kann keine Versäumnisse erkennen: "Die EU-Richtlinie ist in Umsetzung. Wir arbeiten derzeit an einem Begutachtungsentwurf, um unser Strahlenschutzgesetz den Verpflichtungen entsprechend zu überarbeiten. Aber der Großteil ist schon erfüllt", sagt der Minister zum KURIER. Dass es noch keinen Standort für die Endlagerung des heimischen Atommülls gibt, ist aus seiner Sicht unproblematisch: "Abhängig davon, welchen Atommüll ein Land erzeugt, müssen Maßnahmen alsbald getroffen werden. Da unser Abfall nur schwach radioaktiv ist, reicht bei uns ein Zeitplan aus, der darstellt, wie wir zu einer Endlagerungslösung kommen werden", erklärt Rupprechter. Von einer Doppelmoral könne keine Rede sein.

In den Erläuterungen zur Strahlenschutzverordnung heißt es jedenfalls sinngemäß, dass die längerfristige Zwischenlagerung in Seibersdorf zweckmäßig sei, um die internationalen Entwicklungen betreffend Abfallendlager zu beobachten und letztlich eine optimale Lösung für Österreich zu finden.

Dass Seibersdorf in Niederösterreich nur ein Provisorium ist, zeigt auch die Vergangenheit: Anfang der 1990-er Jahre unternahm Erhard Busek, damals Vizekanzler und Wissenschaftsminister, den letzten ernsthaften Versuch, eine Lösung zur Endlagerung des Atommülls zu finden. "Ursprünglich war geplant, dass dieses Thema mit dem Atomkraftwerk Zwentendorf gelöst sein wird. Da ich nicht atomfreundlich bin, hatte die Standortsuche nie oberste Priorität", sagt Busek heute zum KURIER.

Trotzdem muss die Republik Atommüll, der in heimischen Spitälern und Forschungsinstituten anfällt, in Österreich sicher aufbewahren. Einzig die abgebrannten Brennstäbe, die im Forschungsreaktor im Wiener Prater anfallen, nimmt der Hersteller in den USA aufgrund einer Vertragsvereinbarung zurück.

Der restliche Atommüll wird in drei großen Lagerhallen in Seibersdorf, die zuletzt modernisiert und ausgebaut wurden, zwischengelagert. "Derzeit sind 11.200 Fässer deponiert. Unsere Kapazitäten sind so ausgelegt, dass wir bis 2045 keine Platzprobleme haben. 18.000 Fässer können wir aufnehmen", erklärt Roman Beyerknecht, Geschäftsführer der Firma "Nuclear Engineering Seibersdorf (NES)".

Er ist wie auch Bürgermeister Franz Ehrenhofer davon überzeugt, dass Seibersdorf nur ein Zwischenlager und keine Dauerlösung sein kann. Ein Endlager muss mindestens 300 Jahre lang absolut sicher sein. "Auch wenn es schwierig ist, einen Standort zu finden, ein Endlager wird es bei uns definitiv keines geben", erklärt Ehrenhofer. Das sagt einer, der für die Lagerung in seiner Gemeinde Tausende Euro aus der Staatskasse bekommt. Ehrenhofer hofft auf eine baldige Lösung: "Die Kapazitäten sind jedenfalls begrenzt."

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