Unerwünschte Briefe eines Mörders

Unschuldig in Haft? Michael Kollitsch (Mitte) beteuert, nichts mit Julias Tod zu tun zu haben. Davon ist auch sein Anwalt überzeugt. Der sucht jetzt einen neuen Täter und will eine Wiederaufnahme des Verfahrens
Julias Eltern bekommen Post von Michael Kollitsch/Gericht sprach 90.000 Euro für die Trauer zu.

Der 52-jährige Michael Kollitsch hat viel Zeit. Er sitzt in der Justizanstalt Krems-Stein. Von dort schreibt er Briefe – und zwar an Anton und Brigitte Kührer aus Pulkau, NÖ. Vor rund einem Jahr wurde Kollitsch wegen des Mordes an Julia Kührer verurteilt – der Tochter des Paares. Bis zuletzt beteuerte der ehemalige Videotheken-Besitzer seine Unschuld. Und das tut er auch in seinen Briefen an Julias Eltern.

"Für die Eltern ist das natürlich jedes Mal eine große Aufregung", sagt deren Anwalt Gerald Ganzger. Nach jedem Brief kommt die Aufforderung, den Kontakt zu unterlassen. Bisher ohne Erfolg. "Das ist jetzt nicht die richtige Zeit", sagt auch Kollitschs neuer Anwalt Wolfgang Blaschitz.

Schmerzensgeld

Unerwünschte Briefe eines Mörders
Doch das ist nicht der einzige Kontakt, den die Kührers mit dem verurteilten Mörder ihrer Tochter haben. Zuletzt traf man sich wieder vor Gericht – diesmal ging es darum, den erlittenen seelischen Schmerz zumindest symbolisch und damit finanziell abzugelten. Brigitte und Anton Kührer forderten je 40.000 Euro Trauerschmerzensgeld plus 10.000 Euro für die Begräbniskosten. Das Gericht sprach den Eltern die Summe zu – und die ist in Österreich rekordverdächtig. Doch Kollitsch ging in Berufung. Nun muss das Oberlandesgericht entscheiden.

Geht es nach dem 52-Jährigen, soll das nicht der letzte Gerichtstermin im Fall Julia Kührer gewesen sein. "Ich gehe davon aus, dass mein Mandant es nicht war", sagt sein Anwalt Blaschitz. Gemeint ist: Kollitsch habe nichts mit Kührers Tod zu tun. Und das will Blaschitz auch beweisen. Detektive durchleuchten das Umfeld von Julia Kührer. "Ich muss einen anderen Täter präsentieren", sagt der Rechtsanwalt. Denn sonst gibt es keine Chance auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Neuer Täter gesucht

Der Ex-Freund Kührers, der bereits bei den ursprünglichen Ermittlungen ins Visier geraten war, interessiert Blaschitz ganz besonders. "Er ist der Adressat meines Argwohns." Und auch die Hauptbelastungszeugin, die mit Kührer Drogen von Kollitsch konsumiert haben soll, "wird sich noch wundern. Die Leute im Umfeld wissen, was wirklich passiert ist. Meine Aufgabe ist es, jemanden zu finden, der bereit ist, die Wahrheit ans Licht zu bringen."

Er habe "neue Zugänge und etliche Zuträger", sagt Blaschitz. Und die Hinweise gehen in Richtung eines Drogen-Unfalls. "Da kann schon etwas aus dem Ruder gelaufen sein. Wenn Jugendliche in eine Situation geraten, die sie nicht mehr beherrschen können ..."

Diese Version ist allerdings nicht neu – auch Blaschitz’ Vorgänger Farid Rifaat hatte diese Möglichkeit vor Gericht präsentiert. Und sie ist nicht unbegründet. Schließlich wurden in den sterblichen Überresten des Mädchens Spuren der Droge Crystal Meth nachgewiesen. Und trotz zahlreicher Gutachten konnte nicht einmal die Todesursache des Mädchens zweifelsfrei geklärt werden. Seinen ursprünglichen Zeitplan – Blaschitz wollte noch im Sommer Beweise präsentieren – hat er verworfen. "Mein Mandant erwartet mittelfristig, dass sich etwas tut."

Dass dies ein schwieriges Unterfangen wird, ist ihm bewusst. "Das ist kein Spaziergang. Die Latte liegt sehr hoch. Das kann genauso gut nicht funktionieren", gibt Blaschitz zu: "Aber es müssten doch auch Julias Eltern Interesse daran haben, dass die Wahrheit ans Licht gebracht wird."

"Ich wünsche mir Gerechtigkeit", sagte Brigitte Kührer damals im Prozess.

  • 27. Juni 2006: Die 16-jährige Julia Kührer fährt mit dem Bus von Horn nach Pulkau. Auf dem kurzen Heimweg verschwindet sie plötzlich. Am Folgetag verständigen Julias Eltern die Polizei. Mehrere Suchaktionen bleiben erfolglos.
  • Anfang 2010: Das Bundeskriminalamt übernimmt die Ermittlungen.
  • 10. Mai 2010: Die Polizei stürmt ein Haus in Gars/Kamp und nimmt drei Jugendliche fest. Zwei Tage später werden sie wieder enthaftet.
  • 30. Juni 2011: Nachbarn entdecken im Erdkeller eines Hauses im nahen Dietmannsdorf die sterblichen Überreste von Julia Kührer, eingehüllt in eine blaue Decke. Vom Leichnam sind nur noch Fragmente übrig.
  • 1. Juli 2011: Michael Kollitsch wird festgenommen. Er hatte in dem Haus in Dietmannsdorf gewohnt und kannte Julia auch. Doch mit dem Tod des Mädchens will er nichts zu tun haben.
  • 3. Juli 2011: Kollitsch wird wieder enthaftet. Dem Richter ist die Suppe zu dünn.
  • 4. Februar 2012: Julia Kührers sterbliche Überreste werden in Pulkau beigesetzt.
  • 5. Dezember 2012: Michael Kollitsch wird erneut festgenommen. Auf der verkohlten Decke, in die Kührers Leiche eingehüllt gewesen war, findet sich seine DNA.
  • 24. September 2013: Nach einem aufwendigen Prozess mit rund 100 Zeugen und sechs Sachverständigen wird Kollitsch im Landesgericht Korneuburg wegen Mordes an der 16-jährigen Schülerin von einem Geschworenengericht mit 7:1 Stimmen schuldig gesprochen. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt.
  • 7. März 2014: Das Oberlandesgericht Wien setzt die Strafe gegen den ehemaligen Videothekenbesitzer auf 20 Jahre herab.
Unerwünschte Briefe eines Mörders
Am 5. Juli 2011 wurden Julias Überreste in Dietmannsdorf gefunden

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