"Neusiedl war meine erste Freiheit"

Karin Ivancsics lebt heute in Wien und Deutsch Jahrndorf.
Karin Ivancsics beschreibt in ihrem neuen Buch ihre Kindheit in Deutsch Jahrndorf am Eisernen Vorhang.

Karin Ivancsics ist eine waschechte Burgenländerin. In St. Michael (Bezirk Güssing) geboren, zog sie im Alter von drei Jahren mit ihren Eltern nach Deutsch Jahrndorf (Bezirk Neusiedl am See). Und obwohl es ein und dasselbe Bundesland war, konnten die Unterschiede für Ivancsics größer nicht sein. "Deutsch Jahrndorf liegt im Dreiländereck. Man konnte zwar hineinfahren, aber wollte man weiter, musste man umkehren. Ich bin, wenn man so will, ein Grenzfall", meint die Burgenländerin. Eine ganz andere Bedeutung hatte für die Autorin ihr Geburtsort. "St. Michael war da ganz anders - offen. Die Straßen gingen überall weiter, man musste nicht umdrehen, um weiterzukommen."

Über ihre Erfahrungen, wie es ist, in einem Grenzort aufzuwachsen, hat Karin Ivancsics nun das Buch "Aus einem Strich die Landschaft" geschrieben. "In meiner Kindergartenzeit dachte ich, dass dahinter die Welt zu Ende sei, dass, wenn ich und meine Freundinnen mit den Rädern immer geradeaus fahren würden und den Stacheldraht überwinden könnten, wir runterstürzen würden", lautet ein Auszug aus dem Buch.

Liebe zum Schreiben

Die Abgeschiedenheit des Dorfes hat sie geprägt. "Im Winter war es besonders schlimm. Damals gab es noch viel Schnee und so musste ich die meiste Zeit zuhause verbringen. Als Jugendliche der Horror", erzählt Karin Ivancsics. Und weil sie sich an diesen langen Wintertage ja irgendwie beschäftigen musste, entdeckte sie schließlich ihre Liebe zum Schreiben.

Das Ende der Volksschule brachte auch ein Ende der Einsamkeit mit sich. "Die Schule in Neusiedl am See war meine erste große Freiheit. Nach der Matura ging ich dann nach Wien", sagt Ivancsics. Dort habe sie Germanistik, Französisch und Publizistik studiert, aber "das war mir alles zu trocken. Also habe ich das Studium von einem Tag auf den anderen abgebrochen und bin nach Paris gegangen." Nach etwa eineinhalb Jahren kehrte sie zurück nach Wien und begann beim Wiener Frauenverlag zu arbeiten. Dieser Job war schließlich ausschlaggebend für ihr erstes Buch "Frühstücke". Schon ein Jahr später, 1990, erschien die Novelle "Panik". "Beide Bücher waren ziemlich erfolgreich und ich bekam ein Stipendium in Berlin."

Mittlerweile hat Karin Ivancsics zehn Bücher und zwei Theaterstücke geschrieben. Ihre Themen findet sie sozusagen auf der Straße. "Ich schaue hin und höre zu. Alles das, was die Menschen bewegt, kann ein Thema sein." So hat sie bereits ein neues Projekt im Kopf. "Darüber möchte ich aber noch nichts verraten. Nur soviel, es wird um den Tod gehen."

Angst vor Fremden

Heute lebt Karin Ivancsics in Wien und Deutsch Jahrndorf. "Ich hätte mir nicht gedacht, dass ich jemals wieder zurückgehe. Aber ich habe ein kleines Häuschen gefunden, in dem ich mich richtig wohlfühle. Ich brauche das Land, die Natur. Das gibt mir Kraft", erzählt sie.

Obwohl es den Eisernen Vorhang heute nicht mehr gibt, erlebt sie, dass es in den Köpfen vieler Menschen noch immer Grenzen geben würde. "Das absurde ist, dass viele Deutsch Jahrndorfer noch nie mit Flüchtlingen zu tun gehabt haben, nie in Nickelsdorf waren, sondern sich das alles nur im Fernsehen angesehen haben, obwohl sich das in ihrer Nachbarortschaft, direkt vor ihrer Haustür abgespielt hat", sagt Ivancsics.

In ihren sehr persönlichen Essays erzählt Karin Ivancsics vom Aufwachsen im Dreiländereck Österreich, Tschechoslowakei und Ungarn in den 60er/70er Jahren. Sie schreibt über Otto Muehls Kommune im Nachbarort, Karl Prantls Steine in St. Margarethen, die damalige und heutige Situation von Minderheiten. Vom Burgenland ausgehend stellt sie Überlegungen zu Grenzen, Flüchtlingen und Auswanderern an und beleuchtet Begriffe wie Heimat und Fernweh, und die Sehnsüchte, die sie auslösen.
Infos: www.karinivancsics.at

Kommentare