Der letzte Weg

Im Ausnahmezustand: 71 Leichen mussten geborgen, protokolliert und abtransportiert werden.
71 Leichen stellen Polizei und die anderen Beteiligten vor eine emotionale Herausforderung.

Ein Parkplatz in Nickelsdorf, nahe des Grenzübergangs. Der Asphalt ist aufgeheizt von der prallen Sonne. Eine kühle Brise sollte Erfrischung bringen, aber mit jedem Windstoß schlägt den Beobachtern, die sich vor der ehemaligen veterinärmedizinischen Grenzstelle versammelt haben, ein unverkennbarer Gestank entgegen.

Er stammt von einem Lkw, der in der Laderampe geparkt ist. Der fröhlich-bunte Schriftzug an der Seitenwand wirkt wie Hohn. 71 Menschen sind in diesem Fahrzeug auf engstem Raum gestorben.

Teams aus Polizisten und Gerichtsmedizinern bargen und fotografierten Donnerstagnacht die stark verwesten Leichen, stellten Habseligkeiten sicher. So weit zu den Fakten. Die emotionale Komponente bringt Polizeisprecher Gerald Pangl vor Ort auf den Punkt: "Schrecklich."

Psychologische Hilfe

"Es ist sehr belastend für die Kollegen. Man versucht, persönliche Gefühle auszuklammern und sich nur auf die Arbeit zu konzentrieren, aber es fällt schwer", sagt er. Den Beteiligten sei psychologische Hilfe angeboten worden.

Freitag gegen Mittag verlassen Bestatter mit den ersten 20 Särgen die Halle und treten den Weg nach Wien zur Gerichtsmedizin an. Es ist die Route über die Ostautobahn, die auch der Schlepper genommen hat, bevor er den Lkw am Donnerstag bei Parndorf am Pannenstreifen abgestellt hat und geflüchtet ist. Die knapp 20 Kilometer durch die pannonische Einöde haben die Flüchtlinge nicht mehr miterlebt. Man geht davon aus, dass sie bereits zwei Tage vorher im luftdicht abgeschlossenen Laderaum gestorben sind.

Bestattung in Österreich

"Ich habe den Lkw ein paar Kilometer vorher noch überholt", erzählt ein Arbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Für ihn gehören Flüchtlinge, die am Rand der Autobahn entlangmarschieren, zur morgendlichen Routine auf dem Weg zur Arbeit. "Daran gewöhnen werde ich mich aber nie", sagt er. Der Donnerstagmorgen wird sich für immer in sein Gedächtnis brennen. "Der Lkw ist mir aufgefallen, weil er von einer slowakischen Hendl-Firma ist. Meine Frau ist Slowakin, ich habe ihr daheim davon erzählt."

Der Gedanke, dass er sich unwissentlich über ein Fahrzeug amüsiert hat, in dem 71 Leichen chauffiert wurden, lässt ihn schaudern. Auch ihm fällt dafür nur ein Wort ein: "Unvorstellbar."

Nach der Obduktion sollen die Toten in Österreich beigesetzt werden. Wo und wie, überlegen die Behörden derzeit, sagt Judith Siber, Amtsleiterin in Neusiedl am See. "Es kommt darauf an, ob sie kremiert oder begraben werden sollen. Wir sind in Gesprächen mit der Gemeinde Parndorf und der Stadt Wien. Der Friedhof in Neusiedl ist nicht groß genug."

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