Glykolskandal: 30 Jahre danach

Weinbauern der Gemeinde Illmitz kamen in den 1980-er Jahren in Verruf, Wein zu pantschen. Es waren nicht die Winzer, sondern die Händler
Die nordburgenländischen Weinbauern waren keine Pantscher, auch keine Gauner.

Eines vorweg, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die nordburgenländischen Weinbauern waren in den 1980er-Jahren keine Pantscher, keine Gauner. Mit ein wenig schlechtem Gewissen umzugehen müssen sie heute dennoch lernen.

"Was wollen Sie? Eine Geschichte über den Glykolskandal schreiben, geh’ bitte, schauen Sie, dass Sie aus der Tür kommen", meint ein älterer Herr – und wahrscheinlich Weinbauer – im Gasthaus zur Post in Illmitz. Nachsatz: "Lassen Sie uns doch in Ruhe, das ist 30 Jahre her." Der Mann hat nicht unrecht – mit den 30 Jahren.

Glykolskandal: 30 Jahre danach
egermann
Doch einer der größten Wirtschafts- und Lebensmittelskandale in Europa ist nach wie vor ein Thema in Illmitz. Im Gasthaus zur Post etwa, beim Stammtisch am Sonntag. "Es wird noch darüber gesprochen, nicht mehr so häufig wie früher, aber doch", sagt der Gastronom Otto Egermann. Immer wieder wird über die Gier der Händler diskutiert, die nicht genug bekommen konnten. So wird sonntags kolportiert, dass einer "von diesen Obergaunern" 30 Millionen Schilling Schulden bei der Bank hatte, aber umgekehrt einen so großen Betrag auf der Bank deponiert hatte.

Wie die ganze Geschichte wirklich abgelaufen ist, wird wohl nie herauskommen. Dass der Glykolskandal kein "Lercherl" gewesen war, zeigt schon, dass sich der damalige Kellereiinspektor auf einer Parkbank erschossen hatte. "Das war eine schwere Kugel", meint ein Weinbauer zynisch.

Mantel des Schweigens

Einen derart großen Mantel des Schweigens findet man selten. Da hält die Gemeinschaft zusammen. Es gäbe viele Weinbauern, die etwas zu sagen hätten. Nur sie wollen nicht, trauen sich nicht oder was immer. Neutral betrachtet ist das wiederum eigenartig.

Im Prinzip hätten die Weinbauern ja nichts zu verlieren, denn: "Ich bin der Ansicht, dass der Weinskandal ein Glücksfall war. Nicht weil die Weingesetze verbessert wurden, sondern weil das Qualitätsbewusstsein der Konsumenten gestärkt wurde. Und Pantscher waren die Weinbauern bei Gott nicht", sagt Gastronom Egermann.

Gefragtes Papier

Nach mehreren Anläufen, um an Informationen zu kommen, beginnt Herr Tschida, der seinen Vornamen nicht in der Zeitung lesen möchte (Tschidas gibt es dutzendweise im Seewinkel), zu plaudern: "Eigentlich wollte der Händler nur die Papiere für den Wein, die von der Behörde an uns ausgestellt wurden. Welche Qualität die Weine hatten, war denen völlig egal." Die sogenannte Qualität richteten sie sich selbst. "Auch Jesus hat aus Wasser Wein gemacht."

Die Papiere brauchten die Händler dafür, um die Exporte von Süßweinen nach Deutschland zu legalisieren. "Dass sie mit denselben Zertifikaten drei Mal über die Grenze fuhren, kann ich nicht beweisen", sagt ein Weinbauer am Nachbartisch. "Aber so wird’s wohl gewesen sein."

Der Weinverkauf – vor allem bei Süßweinen – stagnierte Ende der 1970er-Jahre. Die Weinpreise lagen mit acht bis zehn Schilling pro Liter im Keller. Das lag den Weinbauern im Magen. Warum dann plötzlich eine derart große Nachfrage bestand, wurde nicht hinterfragt. Die Preise stiegen, bis zu 20 Schilling wurden für Beerenauslese gezahlt.

"Uns war es eigentlich recht: wir hatten weniger Arbeit, aber verdient haben wir mehr", sagt der einstige Weinbauer Tschida. Die ganze Ortschaft habe profitiert. Denn wie vor 30 Jahren üblich, gab es viele Nebenerwerbsbauern. Und sollte es sich mit den Prädikatsweinen nicht ausgegangen sein, dann hat man eben einen anderen, minderwertigeren Wein abgefüllt. Der Preis war der selbe. "Aber das will heute niemand sagen." Vielleicht in zehn Jahren.

Vor dreißig Jahren begann die österreichische Weinseligkeit einzufrieren – paradoxerweise dank eines Frostschutzmittels. Der Weinskandal, ausgelöst durch Pantscher, wurde aufgedeckt und löste in der Folge einen qualitativ großartigen Neustart in der heimischen Weinszene aus.

Am 21. Dezember 1984 tauchte ein unbekannter Mann mit deutschem Akzent in der landwirtschaftlich-chemischen Bundesanstalt in Wien auf, stellte eine Flasche mit einer wasserhellen, sirupartigen Flüssigkeit auf den Tisch und sagte: "Das verwendet die österreichische Weinfälscherszene."

Bis heute weiß niemand, wer der Mann war, doch sein Hinweis brachte die Sache ins Rollen. Nach einer Woche stand die chemische Zusammensetzung des Mittels fest: Es war Diethylenglykol. Doch erst am 23. April 1985 hatten die Wein-Detektive genügend Beweise, um in die Öffentlichkeit zu gehen. An diesem Tag schlug das Landwirtschaftsministerium Alarm und warnte vor den Glykol-Weinen. Mindestens 340 Tonnen Glykol hatten heimische Pantscher seit 1978 den Weinen zugesetzt, meistens, um künstlich "Süßweine" herzustellen.

Tausend Verdächtige

Ab 23. April 1985 ging es den Pantschern an den Kragen. Die insgesamt 55 niederösterreichischen und zwölf burgenländischen Kriminalbeamten, die zur Klärung des Weinskandals eingesetzt waren, hatten nach mehr als 850 Hausdurchsuchungen (davon 60 in Chemikalien-Betrieben) mehr als tausend Verdächtige der Staatsanwaltschaft angezeigt. Mehr als 26 Millionen Liter verfälschter oder gepantschter Wein wurden beschlagnahmt.

Zwischen 20. Juli 1985 und 25. Februar 1986 wurden 80 Verdächtige verhaftet, der erste U-Häftling war Johann S. aus Gols im Burgenland. Als Pantscherkönige galten aber die Brüder G. aus Fels am Wagram (beide sind längst gestorben). Fritz Kutschera, der damals zuständige Staatsanwalt im Landesgericht Krems, errechnete allein in der Firma G. einen Schaden von umgerechnet mehr als 25 Millionen Euro. Die ärgsten Pantscher erhielten Haftstrafen bis zu acht Jahren. -Ernst Bieber

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