Flüchtlingsdrama auf A4: Opfer noch in Ungarn erstickt

In diesem Lkw starben 71 Menschen.
Der Lkw war laut Polizei luftdicht verschlossen. Syrer, Iraker und Afghanen unter den 71 Toten.

Eine Woche nach der Entdeckung von 71 Leichen in einem Lkw auf der Ostautobahn (A4) im Burgenland hat die Polizei am Freitag in Eisenstadt mitgeteilt, dass DNA-Spuren und ein Handflächenabdruck der Verdächtigen am Fahrzeug sichergestellt worden sind. Die geschleppten Flüchtlinge dürften noch in Ungarn gestorben sein.

"Faktum ist, dass es sich (bei den Festgenommenen, Anm.) tatsächlich um jene Tätergruppe handelt, die diese Schleppung am 26. bzw. 27. August durchgeführt hat", sagte Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil bei einer Pressekonferenz. Der Lenker des Lkw sei definitiv unter fünf in Ungarn Festgenommenen.

Lkw war luftdicht verschlossen

Flüchtlingsdrama auf A4: Opfer noch in Ungarn erstickt
ABD0061_20150904 - EISENSTADT - UNGARN: Der burgenländische Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil (L.) und der Leiter der Staatsanwaltschaft Eisenstadt, Johann Fuchs, am Freitag, 4. September 2015, während einer Pressekonferenz zum Thema "Ermittlungsergebnisse im Kriminalfall der 71 toten Flüchtlinge auf der A4" in Eisenstadt. - FOTO: APA/ROBERT JAEGER
Laut dem Polizeichef könne man die Todesursache noch nicht zu 100 Prozent sagen, aber aufgrund der Anzahl der Personen und des Volumens des Lkw "gehen wir davon aus, dass innerhalb kürzester Zeit der Erstickungstod noch in Ungarn der Tod eingetreten ist", betonte Doskozil.

Laut Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil war der Lkw, in dem die toten Flüchtlinge entdeckt worden waren, luftdicht abgeschlossen. Das habe die technische Untersuchung des Fahrzeuges, die bereits abgeschlossen sei, ergeben. Außerdem war das Kühlaggregat nicht angeschlossen. Dieses hätte allerdings auch keine Frischluftzufuhr ermöglicht, erläuterte der Polizeichef. Laut Verena Strnad von der Staatsanwaltschaft Eisenstadt wurden die Obduktionen abgeschlossen.

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Blumen und Kerzen zum Gedenken an die tot in einem Lkw aufgefundenen Flüchtlinge vor der Polizeidirektion Eisenstadt.
Der Lkw sei am 26. August um 5.00 Uhr an der serbisch-ungarischen Grenze gestartet. Aller Voraussicht nach habe er um 10.00 Uhr die österreichische Grenze überschritten. Am darauffolgenden Tag, am 27. August, haben die Beamten dann den in einer Pannenbucht der Ostautobahn bei Parndorf (Bezirk Neusiedl am See) abgestellten Kühltransporter kontrolliert und die toten Flüchtlinge entdeckt.

Rollenverteilung der Schlepper unklar

Die genaue Rollenverteilung der insgesamt sechs Festgenommenen blieb unklar. Fünf Personen befinden sich in Ungarn, eine Person in Bulgarien in Polizeigewahrsam. Unter ihnen befinde sich der "Lenker dieses Transportes und die anderen Personen stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang mit diesem Transport", sagte Verena Strnad, Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

Angeblich nichts von Flüchtlingen gewusst

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ABD0082_20150828 - NICKELSDORF - ÖSTERREICH: In dem auf einem Pannenstreifen auf der A4 in der Nähe von Parndorf (Bezirk Neusiedl am See) abgestellten Lastwagen dürften mindestens 30 Flüchtlinge ums Leben gekommen sein. Im Bild: Der LKW in dem die Flüchtlinge gefunden wurden beim ehemaligen Veterinäramt in Nickelsdorf, aufgenommen am Freitag, 28. August 2015. - FOTO: APA/HERBERT P. OCZERET
Nach der Tragödie mit 71 Todesopfernin einem Lkw hat unterdessen einer der mutmaßlichen Lenker vor einem bulgarischen Gericht ausgesagt, angeblich nichts von den Menschen an Bord seines Lasters gewusst zu haben. Der Bulgare, der am Donnerstag in Hand- und Fußfesseln zu der Anhörung in der Stadt Montana gebracht wurde, blieb auf Anordnung des Gerichts in Untersuchungshaft. Laut bulgarischer Staatsanwaltschaft muss sich der Verdächtige wegen Beteiligung an einem kriminellen Schlepperring und fahrlässiger Tötung in 71 Fällen verantworten.

Reisedokumente dürften Toten gehören

Die 71 toten Flüchtlinge, die vor etwa einer Woche in einem auf der Ostautobahn abgestellten Lkw entdeckt wurden, dürften aus den Ländern Syrien, Irak und Afghanistan stammen. Man gehe derzeit davon aus, dass die sichergestellten Reisedokumente den Toten gehören, sagte Landespolizeidirektor Hans Peter Doskozil am Freitag in Eisenstadt.

"Angesichts des fortgeschritten Verwesungszustandes wird es vielleicht nicht in allen Fällen möglich sein, die Opfer identifizieren zu können", betonte der Polizeichef.

Zweiter Fall: 81 Personen entkamen Lkw

Flüchtlingsdrama auf A4: Opfer noch in Ungarn erstickt
Karte Ostösterreich, Schlepperfälle am 27. August Grafik 1022-15-Fluechtlinge.ai, Format 88 x 55 mm
Im Zuge der Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Schlepperdrama auf der Ostautobahn hat die Polizei einen ähnlichen Schlepperfall aufgedeckt. 81 Personen seien in einem fast bauartgleichen Fahrzeug wie der Todes-Lkw auf der A4 nach Österreich geschleppt worden, sagte Polizeichef Hans Peter Doskozil bei einer Pressekonferenz in Eisenstadt.

Diese 81 Geschleppten hätten sich in einer fast ähnlich lebensbedrohlichen Situation befunden wie die 71 offenbar erstickten Flüchtlinge. Diese Gruppe konnten sich aber in Gols (Bezirk Neusiedl am See) aus dem Fahrzeug befreien, hieß es am Freitag. Die zweite Schleppung führte die "selbe Tätergruppe" am 27. August durch, genau jenem Tag, an dem der Lkw mit den 71 Toten auf der Ostautobahn (A4) im Burgenland entdeckt wurde. Das sagte Polizeichef Hans Peter Doskozil bei der Pressekonferenz. Dazu gebe es auch schon sechs Niederschriften.

Den 81 Personen sei es gelungen, "mit einem Brecheisen die Seitentür des Fahrzeugs während laufender Fahrt zweimal zu öffnen", erklärte Doskozil. In Gols im Bezirk Neusiedl setzte der Schlepper schließlich die Flüchtlinge aus. Dieser Fall sei "eindeutig auch dieser Tätergruppe zuzuordnen", sagte Doskozil. Hinweise zu dem Fall erhielt die Polizei, nachdem Medien Fotos der Verdächtigen veröffentlichten.

Nach den Obduktionen der 71 Toten haben sich die Hinweise auf den Erstickungstod der Opfer bestätigt. Einen, wenn auch nur kleinen Trost, hat Edith Tutsch-Bauer, Leiterin der Gerichtsmedizin Salzburg: "Viele setzen das mit einem schrecklichen Vorgang in Verbindung", sagte die Expertin. Die furchtbare Form des Erstickens trete aber bei der zweiten wesentlichen Art des Erstickungstods auf, nämlich wenn die Atemwege verschlossen sind. "In diesem Fall sammelt sich im Körper Kohlendioxid (CO2)", sagte Tutsch-Bauer. Dieses "CO2 ist der stärkste Atemantrieb" und der Betroffene leidet unter sogenanntem Lufthunger und erstickt qualvoll.

Bewusstseinstrübung vor dem Tod

Das war in dem Lastwagen nicht der Fall, hier konnten die Betroffenen das CO2 bis zu ihrem Tod abatmen, betonte die Medizinerin. In dem luftdichten Raum befand sich jedoch immer weniger Atemluft. Durch den Sauerstoffmangel sind die Organe über den Blutkreislauf mit Sauerstoff unterversorgt. Davon ist vor allem auch das Gehirn betroffen und es tritt zunächst eine Bewusstseinstrübung ein, erläuterte die Medizinerin. "Es ist davon auszugehen, dass die Betroffenen nach und nach ganz das Bewusstsein verloren haben und in der Folge verstorben sind", hielt Tutsch-Bauer fest.

Wie lange es im konkreten Fall gedauert hat, bis der Tod eingetreten ist, lässt sich laut der Expertin nicht sicher sagen. Es ist aber "unwahrscheinlich, dass alle genau zur gleichen Zeit verstorben sind". Der Sauerstoffbedarf eines Menschen variiert je nach Ruhezustand oder Bewegung. Auch in Stresssituationen ist der Sauerstoffbedarf erhöht. Durch Stress erhöhen sich die Herz- und Atemfrequenz und damit auch der Sauerstoffverbrauch, lautete die Erklärung der Expertin.

Das von den Flüchtlingen ausgeatmete CO2 konnte in dem luftdichten Raum nicht entweichen und wurde dadurch wieder vermehrt eingeatmet. Gerichtsmediziner sprechen dabei von "Rückatmung", erläuterte Tutsch-Bauer. Der "entscheidende Faktor" für den Tod durch Ersticken ist in diesem Fall aber der Sauerstoffmangel, sagte die Gerichtsmedizinerin.

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