Der Zeitzeuge: Hugo Portisch

Der Zeitzeuge: Hugo Portisch

Als Chefredakteur machte Hugo Portisch den KURIER zu einer der besten und größten Tageszeitungen.
Mit dem Rundfunkvolksbegehren, als Journalist, Kommentator und Dokumentarist drückte er Medien-Österrech seinen Stempel auf.

KURIER: Wir feiern 60 Jahre KURIER. Gibt es in 15 Jahren noch Zeitungen, also eine 75-Jahr-Feier?

Hugo Portisch: Ich glaube, es gibt sie wieder. Es wird ihnen in den nächsten Jahren schlecht gehen, aber die Leute werden draufkommen, dass das Lesen von elektronischen Schirmen nicht nachhaltig ist.

Den unabhängigen KURIER gibt es ein paar Monate länger als den Staatsvertrag.

Die Amerikaner haben gleich nach Kriegsende den amerikanischen KURIER gegründet. Diese Zeitung war auch sehr gut gemacht, zum Teil von österreichischen Immigranten wie Torberg.

Und schon im Herbst 1954 haben die Amerikaner diese Zeitung dem Unternehmer Ludwig Polsterer verkauft.
Die Amerikaner haben bewusst damit aufgehört, Besatzungspolitik zu spielen.

Sie haben in den USA Journalismus gelernt an einer berühmten Universität im Staat Missouri. Hat Sie das geprägt?
Ich habe Grundsätze gelernt, die prägend für den KURIER wurden. Schon in der ersten Stunde in der School of Journalism in Missouri hat uns der Dekan drei Grundsätze beigebracht. Erstens Check, Re-Check, Double Check – jede Nachricht muss drei Mal auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden.
Nur mit der Wahrheit könnt ihr das Publikum gewinnen. Zweitens um die Wahrheit sicherzustellen, müsst ihr immer auch die andere Seite hören. Der Dekan hat das auf Lateinisch gesagt: audiatur et altera pars. Und auch die dritte Regel hat er uns auf Latein gesagt: in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten.

Und nach der Ausbildung durften Sie in verschiedenen Zeitungen der USA mitarbeiten?

Ja, wir waren in sechs Monaten in sechs verschiedenen Zeitungen. Ich war im tiefen Süden, wo es noch bittere Rassentrennung gab, die Amerikaner haben uns ganz offen ihre Probleme gezeigt.

Bevor Sie zum KURIER kamen, waren Sie im österreichischen Informationsbüro in New York.

Ja und da hab ich 1954 Bundeskanzler Raab durch die USA begleitet. Das war nicht so wie heute, zwei Tage Washington, er hat knapp drei Wochen auf einer Rundreise durch die USA verweilt.

War Raab beeindruckt von den USA?

Er war nicht so beeindruckt, wie man meinen möchte. Er ist sehr selbstbewusst aufgetreten im Sinne der österreichischen Sache.

Sie haben viele Politiker kennengelernt. Hatten Sie manchmal das Gefühl, das Verhältnis wird zu eng, ich kann nicht mehr kritisieren?

Spitzenpolitiker haben das nie versucht, aber Leute aus den Parteien sind zum damaligen Herausgeber und Eigentümer Dr. Polsterer gegangen. Aber dieser hat eine Barriere gegenüber der Redaktion gebildet und keine Intervention zugelassen.

Hauptaufgabe eines Zeitungseigentümers ist, die Redaktion in Ruhe arbeiten zu lassen?

Ja, Polsterer hat keinen Einfluss genommen. Manchmal hatte er Wünsche, wenn es um Kinofilme ging, er war ja selbst ein hervorragender Produzent (Beispiel: Die letzte Brücke) und er war Mühlenbesitzer. Also Mehl und Zelluloid, das waren die Themen, wo die Redakteure wussten, dafür interessiert sich Polsterer.

Aber es waren Fehler des Eigentümers Polsterer, dass er nicht auf Regionalisierung und nicht auf die Sonntagsausgabe gesetzt hat?

Richtig, ich habe wegen dieser beiden Fehler den KURIER 1967 verlassen. Wir haben ja sogar schon mit dem Linzer KURIER gestartet, wir haben in drei Monaten die Auflage verdreifacht, aber Polsterer hat ihn über Nacht eingestellt. Begründung: Das bringt keine zusätzlichen Inserate.

Der zweite Fehler war, keinen KURIER am Sonntag anzubieten?

Ja, die Kronen Zeitung hat mit Tischen für die Sonntagsausgabe begonnen, jetzt sind das Plastiksackerl. Das war Polsterer zu teuer, weil die Leute die Zeitung ja ohnehin stehlen würden. Die Krone hat jeden Sonntag Preisausschreiben im Blatt gehabt, wo man aber auch während der Woche die Zeitung kaufen musste, um etwa ein Haus, ein Auto oder ein Sackerl Diamanten zu gewinnen.

Und dann gab es noch das Thema mit dem Preis. Der KURIER hat nur einen Schilling gekostet.

Ja, das war der rote Punkt auf der Zeitung. Wir konnten den geringen Verkaufspreis halten, weil wir so viele Inserate hatten. Andere Zeitungen wurden teurer und sind dann kaputtgegangen oder geschwächt worden. Ich habe immer gesagt, wir können nur mit mehr Qualität bestehen und nicht mit dem niedrigen Preis.

Ihren Konkurrenten Hans Dichand kannten Sie gut, weil er beim KURIER anfangs ihr Chef war?

Dichand war ein kolossaler Blattmacher, ich habe ihn am 2. Januar 1948 bei der Tageszeitung, einem liberalen Blatt, kennengelernt. Ich kam als Journalist im ersten Ausbildungsjahr in die Außenpolitik. Dort saßen vier Leute: Karl Polly, der Chef, der später Chefredakteur des Radios wurde. Hans Dichand, der vom britischen Nachrichtendienst aus Graz kommt, und zwei Sekretärinnen. So konnten wir alle unsere Artikel diktieren.

Das ist nicht einfach, das muss man können.

Ja, das haben wir schnell gelernt. Eine Sekretärin, Frau Prerovsky, war die letzte Sekretären des Krone-Chefredakteurs vor dem Krieg. Und die hat immer begeistert von der Krone erzählt. Mir war das zu nostalgisch, aber der Dichand hat immer beide Ohren gespitzt.

In der Nachkriegszeit, von der wir hier reden, waren die Amerikaner in Österreich allseits beliebt, die Russen gar nicht. Heute hat man das Gefühl, das hat sich umgedreht.

Die Sowjets waren ja ungeheuer aggressiv. Sie haben nach 1945 die demokratisch gewählten Regierungen in ganz Osteuropa gewaltsam gestürzt. In Wien haben die Russen Hunderte Menschen entführt, Tausende Frauen wurden vergewaltigt. Unsere Regierung hatte für den Fall eines kommunistischen Putsches die Flucht aus Wien vorbereitet, ein Regierungsmitglied musste aus Sicherheitsgründen immer im Ausland sein, und die wertvollsten Kunstschätze wurden schon 1946 in die Schweiz gebracht. So wollte man durch Ausstellungen im Ausland Geld verdienen, als Lebensversicherung für eine künftige Regierung im Ausland.

Also müssten wir den Amerikanern dankbar sein?

Die Amerikaner haben ganz Westeuropa mit dem Marshallplan aus der Kriegsmisere rausgeholt, nicht ganz uneigennützig, sie wollten uns als Freunde gewinnen und die eigene Wirtschaft ankurbeln.

Das war eine intelligente Wirtschaftspolitik.

Das hätten wir längst auch machen sollen, zum Beispiel mit der Ukraine.

Aber den Schutz der Amerikaner haben wir auch gebraucht.

Ja, unser Militär war immer darauf vorbereitet, bei einem Ost-West-Krieg die Russen wenigstens zwei, drei Tage zurückzuhalten, bis die NATO da ist.

Die Neutralität wäre von der NATO verteidigt worden, und trotzdem haben wir heute wachsenden Antiamerikanismus.

George W. Bush hat den Ruf der USA stark beschädigt: Für die Kriegsverbrecher im Balkankrieg wurde ein Gerichtshof in Den Haag errichtet. Die USA waren dafür, haben sich selbst aber nicht dieser Gerichtsbarkeit unterworfen. Unerhört! Dann war mit der Sowjetunion vereinbart, dass es keine weiteren Atomtests geben dürfe, auch das hat Bush gebrochen. Dasselbe gilt für die Klimakonferenz in Kioto, wo sie sich nicht ans Abkommen halten. Die Amerikaner haben das Faustrecht in der Welt eingeführt. Der Krieg im Irak wurde mit einer Staatslüge begonnen. Der Außenminister hat ja der Welt vorgelogen, es gäbe Massenvernichtungswaffen im Irak.
Aber heute, wo die ISIS die ganze Region terrorisiert, ruft die ganze Welt nach den Amerikanern.
Ja, weil sie die einzig verbliebene Weltmacht sind.

Kommen wir zurück zum KURIER. Das Volksbegehren zur Unabhängigkeit des ORF im Jahr 1964, war das Ihre wichtigste Leistung im KURIER?

Ja. Es haben ja schließlich 32 Zeitungen mitgemacht. Wir haben dafür gesorgt, dass der ORF in Radio und Fernsehen unabhängig berichtet. Zwar hat der Einfluss der Parteien schon bald wieder begonnen, schon unter Kreisky.

Der einzig „brave“ Kanzler war also Josef Klaus, der nach Ihrem Volksbegehren den ORF in die Unabhängigkeit entließ.

Er hat sich damit bei den Wahlen 1966 zur absoluten Mehrheit der ÖVP katapultiert. Die ÖVP wollte ja das Volksbegehren auch nicht, weil es ein Angriff auf den Parteienproporz, also die Verteilung von Ämtern zwischen SPÖ und ÖVP, war.
Aber Klaus hat bei den Wahlen 1966 versprochen, dass er ein neues ORF-Gesetz machen würde. Das hat ihm bei vielen Zeitungen geholfen.

Sie wollten ja ein schärferes Gesetz mit der Androhung von Haftstrafen für Politiker, die im ORF intervenieren.

Ja, das stand ursprünglich im Gesetz, das hat die Regierung herausgenommen.

Aber 1967 ist der unabhängige ORF gegründet worden.

Das Wichtigste war, dass wir ein großes Stück Demokratisierung geschafft haben. Sie können sich nicht vorstellen, wie schlimm das war, der TV-Redakteur Max Eissler wurde hinausgeworfen, weil er über das Volksbegehren berichtet hat.

Er ist später aber in den ORF zurückgekommen.

Ja, später, aber am Tag nach seinem Rausschmiss habe ich ihn im KURIER angestellt, wo er dann täglich die Frage des Tage gestellt hat. Aber auch die Leute, die das Volksbegehren unterschrieben haben, waren mutig.
Viele Bürgermeister am Land haben das Volksbegehren sabotiert, die haben wir dann angezeigt. Wir haben den Proporz gesprengt. Bis dahin musste ja jede Häuslfrau ein Parteibuch haben.

Warum hat gerade Bruno Kreisky, der so viel von Demokratisierung gesprochen hat, gegen den unabhängigen ORF gekämpft und ein neues Gesetz gemacht?

Was Kreisky getan hat, war eine Zumutung, aber die Auswirkungen waren nicht so groß, weil Gerd Bacher ja trotzdem 1978 als ORF-Chef wiedergewählt wurde. Dabei hat gerade Kreisky mit seinem Charisma von den vielen Sendungen, die unter Bacher entstanden sind, profitiert.

Apropos Fernsehen, ich habe Sie das erste Mal 1968 während des Prager Frühlings in der „Zeit im Bild“ wahrgenommen.

Ich habe schon als KURIER-Chefredakteur für das Schulfernsehen Kommentare gemacht, Helmut Zilk war dafür zuständig. Ich hatte nie einen Teleprompter sondern habe frei gesprochen, da hat mir die Schule Polly sehr geholfen. Und dann habe ich für den bayerischen Rundfunk einmal im Monat einen Kommentar in München gemacht. Als Gerd Bacher Generalintendant des ORF wurde, wollte er, dass ich die die Kommentare in Wien mache.

Bacher war ja auch Chefredakteur einer Zeitung.

Er war mein Konkurrent als Chef des Bild Telegraf. Da haben wir uns einmal getroffen, und er hat gesagt, „Lesen Sie Ihre Zeitung auch nicht gerne?“ Und ich habe gesagt, „Nein, es ist schrecklich, ich sehe immer die Fehler, die wir gemacht haben.“

Wollten Sie immer nur Journalist werden?

Ich wollte nie Journalist sondern Forscher werden, Expeditionen machen. Also habe ich studiert, Proseminare und Prüfungen gemacht.

Würden Sie jungen Menschen raten, heute noch Journalist zu werden?

Ja, die heutigen Journalisten sind in der Regel besser, als wir es damals waren. Bei uns gab es Leute, die gut recherchierten, aber heute schreiben sie viel besser.

Sie waren dann doch Ihr Leben lang Journalist, trotz der Angebote in die Politik zu gehen. Wie viele Angebote gab es?

Vier oder fünf Mal, aber ich hätte mich nie einer Parteidisziplin unterwerfen können.

Zuletzt ging es um das Amt des Bundespräsidenten, 1992, als Nachfolger von Waldheim. Wie lange haben Sie nachgedacht?

Überhaupt nicht. Ich wollte verhindern, dass man mir das anbietet. Ich war gerade in Amerika mit der Original Storyville Jazzband. Und da bekam ich einen Anruf aus Wien, dass ich nach meiner Rückkehr dieses Angebot bekommen werde. Meine Reaktion: „Die Herren Vranitzky und Busek mögen das gar nicht versuchen“. Nach meiner Rückkehr sehe ich als erstes den KURIER mit dem Aufmacher.

Der KURIER war also wieder schneller?

Ja, aber ich habe mit Bundeskanzler Vranitzky gesprochen und er hatte großes Verständnis, dass ich nicht Bundespräsident werden wollte.

Warum wollten Sie nicht Bundespräsident werden?

Ich habe ein Prinzip, das im Kleinsten und im Größten mein Leben regiert und das ist Freiheit. Alles was meine Freiheiten einengt, ist mir zutiefst zuwider. Und als Politiker verliert man seine Freiheit.

Aber als Bundespräsident muss man auf keine Partei Rücksicht nehmen.

Aber aufs Protokoll. Mich schreckt jede Tätigkeit, die vorgeschrieben ist.

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