60 Jahre KURIER: 1974 - 1984

60 Jahre KURIER: 1974 - 1984

Teil 3: 1974 - 1984. Der Terror erreicht Österreich, die Reichsbrücke stürzt ein, Skandale brechen auf, und das Volk spricht ein zukunftsweisendes „Nein“. Erinnerungen an das Jahrzehnt der Neuorientierung.

Was muss passieren, damit ein Bild eines österreichischen Fotografen um die Welt geht? Ein Terroranschlag? So geschehen am 29. August 1981: Gegen Mittag eilte KURIER-Fotograf Kristian Bissuti in die Synagoge in der Wiener Seitenstettengasse. Zwei arabische Attentäter hatten dort Handgranaten geworfen, zwei Menschen getötet und 21 schwer verletzt. Als einer der Synagogen-Attentäter, Hassan Marwan, angeschossen abtransportiert wird, drückte Bissuti den Auslöser.

Da hatte der Terror Österreich längst erreicht: Drei Monate zuvor war der Wiener Stadtrat Nittel, der Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft, erschossen worden. Und bereits 1975 war die OPEC-Zentrale in Wien überfallen worden. Die Attentäter nahmen 62 Geiseln, darunter elf Ölminister der OPEC-Staaten. Bilanz: drei Tote. Einen Tag später wurden die Terroristen, unter ihnen der Anführer Carlos, mit 33 Geiseln nach Algier und Tripolis ausgeflogen. In der KURIER- Reportage von damals ist die Dramatik spürbar: "... die Sechs öffnen ihre Taschen, ziehen Maschinenpistolen heraus. Kriminalbezirksinspektor Tichler hat keine Chance. Genickschuss. Die Gangster stoßen den Sterbenden in den Lift ..."

"Der OPEC-Terror steht in Zusammenhang mit der Öffnung, die Bundeskanzler Bruno Kreisky betrieben hat. Er war es, der als erster westlicher Staatsführer Kontakte zur PLO pflegte", analysiert Medien-Experte Fritz Hausjell fast 40 Jahre später. "Manch Unbedarfter argumentierte damals ,Hätt er sich nix angefangen mit den Palästinensern, wäre auch nix passiert.‘ Das ist natürlich Blödsinn."

Kreisky war es auch, der die strategische Ansiedlung internationaler Organisationen in WienUNO, OPEC, Konferenzzentrum – betrieb, erinnert Hausjell. "Die Idee kommt aus der linken Exilpresse: Wie positioniert man einen Staat nach der Befreiung vom Nationalsozialismus so, dass er nicht wieder von allen vergessen wird? Indem man internationale Organisationen dorthin holt."

Ein halbes Jahr später erschütterte ein chronikales Ereignis das Land: Am 1. August um fünf Uhr früh kontaktierte der KURIER-Portier den Chronik-Chef Paul Uccusic: Die Reichsbrücke sei eingestürzt, hatte ein Kolporteur gemeldet, der nicht über die Donau kam. Uccusic rückt aus und war der erste Journalist vor Ort: "Es war ein Anblick von großer Absurdität", erinnerte er sich im Buch Hinter den Schlagzeilen von Gunther Baumann.

Als Stunden später Niki Lauda am Nürburgring verunglückt, "stiegen einander – zynisch gesprochen – die Aufmacher auf die Zehen", sagte Uccusic. Man entschied sich für die Reichsbrücke.

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Lauda: Aus dem Wrack zum WM-Titel

Apropos Zynismus: Der geht des Öfteren in der Redaktion um. Als Papst Paul VI. 1978 starb, lautete die Schlagzeile: "Die Welt trauert um den Papst". Sein Nachfolger, der nach 33 Tagen verstarb, brachte die Blattmacher in die Bredouille. Man konnte ja nicht schon wieder "Die Welt trauert um den Papst" titeln.

Daher schlug Karikaturist Rudi Angerer vor: "Papst schon wieder tot!"

Zwischen der Papst-Geschichte und dem Einsturz der Reichsbrücke waren diese Zeitung und das ganze Land mit einer Geschichte beschäftigt, die die Zukunft maßgeblich prägen sollte: Mit den Großdemos gegen Zwentendorf, die in einem "Nein" zur Atomkraft mündeten. "Bis weit in die 70er-Jahre hinein gab es eine Faszination für die Technik. Sie sollte alle gesellschaftlichen Probleme lösen", sagt Kommunikationswissenschaftler Hausjell. "Der erste große Knacks kommt mit der Atomenergie. Frühe Mahner wie Robert Jungk wurden als Sektierer und absolute Minderheit wahrgenommen. Trotzdem erreichten sie viele junge Leute. Und so kam ein Abstimmungsergebnis zustande, mit dem keiner wirklich gerechnet hatte."

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Der KURIER war trotz industrienaher Eigentümer, die eindeutig auf der Pro-Atom-Seite standen, daran nicht unbeteiligt. Peter Rabl erinnerte sich in Hinter den Schlagzeilen: "In langen Diskussionen kamen wir auf die hinterhältige Idee, ganz neutrale Sachgeschichten zu schreiben, die mit Pro- und Kontra-Kommentaren ergänzt wurden." Reaktion der Leser: Wenn dort so gescheite Leute gegen die Atomkraft schreiben, dann kann sie nicht so sicher sein.

In den Folgejahren lautetet die Herausforderung für den KURIER: "Auf der Bühne des Boulevard bestehen, aber auch den Spagat zum anspruchsvollen Journalismus schaffen", sagt Hausjell. Als Gerd Leitgeb 1979 Chefredakteur wurde, sagte er: "Meines Erachtens gibt es in ganz Europa keine Zeitung, die so viel seriöse Information mit so viel Leserschaft verbindet." Dennoch machte der KURIER in seiner Ära die größte Wandlung in seiner bisherigen Geschichte durch – zur Boulevard-Zeitung, zum Massenblatt.

Hausjell: "Das war die Phase des Aufstiegs der Kronen Zeitung. Sie wird zur Bedrohung, und das Heilmittel der Konkurrenz in ganz Österreich lautet Selbst-Boulevardisierung."

Boulevard hin oder her: Am AKH- und Noricum-Skandal 1980 und 1981 konnte keine Zeitung vorbei. Magazine positionierten sich als Aufdecker. "Das war ein neues Phänomen im Journalismus", analysiert der langjährige Außenpolitik-Chef Heinz Nussbaumer. "Aber das waren nicht wir. Wir waren die, die versucht haben, alles einzuordnen."

1975 erreichte der Terror Österreich. Der Überfall auf das Hauptquartier der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) in Wien zeigte, dass auch die Alpenrepublik keine Insel der Seligen mehr war. Dass die Regierung Kreisky die Terroristen samt Geiseln abziehen ließ und der Innenminister den Terroristen Carlos per Handschlag verabschiedete, ist heute freilich nur mehr eine Fußnote in der Geschichte des internationalen Terrors.

Atomkraft? Nein danke

Nachhaltig geprägt hat Österreich bis heute ein ganz anderes Ereignis: Die Volksabstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf 1978. Was dem KURIER bei der Vorberichterstattung ein veritables Dilemma bescherte: Denn die Eigentümer aus der Industrie legten größten Wert darauf, dass Zwentendorf aufgesperrt wird. Daher überlegte das Innenpolitik-Ressort verzweifelt, wie man es vermeidet, gegen die eigene Überzeugung für Atomkraft Werbung machen zu müssen. Die zündende Idee: Unter dem Titel "Atomstrom im KURIER" wurden neutrale Sachgeschichten ins Blatt gerückt – ergänzt mit Pro- und Kontra-Kommentaren. Das Ergebnis ist Geschichte: Österreich sagte Nein zur Kernkraft und bekam spätestens 1986, als Tschernobyl in die Luft flog, recht.

Ab den 80er-Jahren wurden dann immer neue "saure Wiesen" (um mit dem damaligen Bundespräsidenten Rudolf Kirchschläger zu sprechen) entdeckt. Der AKH-, Noricum-, später Lucona- und Wein-Skandal lieferten beachtliche Beispiele von strafrechtlich relevanten Delikten und brachten ungeahnte Beispiele von Polit-Filz ans Tageslicht. Ein Verdienst, der vor allem dem damals aufkommenden Aufdecker-Journalismus angerechnet werden muss.

Der Vollständigkeit halber sei zum Schluss auch noch angemerkt, dass der Einsturz der Reichsbrücke, Niki Laudas Unfall (beide im Jahr 1976) und Kreiskys Abgang im Jahr 1983 Journalisten und Leser bewegten.

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